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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst
Autoren: Dan Wells
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Fünfzigerjahre«, erklärt Vanek. »Wir haben eine ganze Familie übernommen: Milos und Nikolai Cerny, deren Schwester Eliska und ihren Ehemann Ambrose Vanek. Außerdem noch ein Dutzend Leute, die auf dieser Farm gearbeitet und gelebt haben. Sobald wir uns an die Physiologie der ersten Gruppe angepasst hatten, teilten wir uns in zwei Teams auf. Ich war für den Verschmelzungsprozess verantwortlich, die anderen unterwanderten bald darauf praktisch jeden Aspekt menschlichen Lebens.«
    »Sie wollen die ganze Welt ermorden.«
    »Wir reinigen sie.«
    Ich starre ihn an. »Ihr Kinder der Erde seid Monster.« Er schweigt. »Das seid ihr. Ihr seid nicht einmal menschlich, sondern steuert uns wie … wie Puppen.« Ich lege die Papiere weg. »Sie sagten, die Antworten lägen hier, deshalb bin ich hergekommen. Wie lautet die Wahrheit?«
    Er nickt zur Tür hinüber, die in den nächsten Raum führt. »Wir sind gleich dort drinnen.«
    Ich zögere, beobachte ihn und werde misstrauisch, weil er mich freiwillig mit Informationen versorgt. Andererseits weiß ich, dass er mich nicht umbringen wird. Er braucht meinen Körper, wenn er selbst über­leben will. Ich gehe zur Tür und halte inne, nachdem ich die Hand auf den Türknauf gelegt habe. Was werde ich dort finden? Vor dem inneren Auge sehe ich wieder die Reihen von Kinderbetten, die Blutspritzer, die Frau mit den wilden Augen und dem Messer. Ich schiebe den Gedanken weit weg und öffne die Tür.
    Im Raum dahinter ist es dunkel – noch viel dunkler als in der Küche, denn die Vordertür ist verrammelt, und die Fenster sind vollständig zugenagelt. Glücklicherweise entdecke ich eine Lampe und eine Schachtel Streichhölzer, mit denen ich eine Weile herumhantiere, bis ein orangefarbenes Flämmchen entsteht. Dann zünde ich die Lampe an, und ein hellgelber Lichtschein erfüllt die Küche. Vanek folgt mir und schließt die Tür hinter uns, damit das Licht nicht zu bemerken ist. Draußen höre ich Rufe, das Chaos schallt dumpf durch die Wände herein. Die Kinder der Erde rennen voller Entsetzen vor dem Gespenst ihres Killers davon. Bin ich es wirklich? Bin ich angetreten, um sie zu vernichten? Ich achte nicht weiter auf den Lärm, denn ich will Antworten hören. Jeden anderen Gedanken verdränge ich.
    Niemand ist hier, trotzdem bin ich nicht allein. Ich spüre es in den Beinen wie das Summen einer Maschine. Etwas oder jemand befindet sich in der Nähe. Die wahren Kinder der Erde sind zum Greifen nahe, aber wo stecken sie?
    Der Raum ist so gut wie leer, hier gibt es nichts außer einigen Stühlen, einem Bett und einer komplizierten Vorrichtung, bei der es sich anscheinend um einen Flaschenzug und die dazugehörigen Ketten handelt. Ich gehe umher und berühre alles der Reihe nach. Die Stühle sind stabil, sie bestehen aus massivem Holz. Die schweren Metallketten fühlen sich kühl an, nicht glatt und auch nicht rau. Sie verlaufen vom Bett bis zu der Batterie von Zahnrädern und Umlenkrollen unter der Decke. Auf dem Bett liegt eine dünne Matratze, darauf eine grobe Wolldecke. An den Seiten sind kräftige Ledergurte verankert, wie ich sie aus Powell kenne. Ich hebe eine Handfessel hoch, drehe sie hin und her und lasse sie wieder fallen. Dann trete ich zum Kopfende des Betts …
    … und spüre es. Hier entsteht das Summen, direkt unter den Füßen. Es ist das gleiche Pulsieren und Zucken, das ich auch bei Handys wahrnehme oder wenn ich einen Sektenanhänger berühre, nur hundertfach stärker, tausendfach stärker sogar, und es tut nicht weh, sondern weckt eine ungesunde Begeisterung ähnlich wie nach dem Genuss von Drogen oder eines Betäubungsmittels. Es ruft mich, zieht mich hinunter. Je länger ich diesem Sog ausgesetzt bin, desto vertrauter kommt er mir vor und ist doch fremder als alles, was ich je empfunden habe. Auf einmal wird mir klar, dass ich am Boden liege. Mühsam richte ich mich auf. Vanek gibt mir die Hand und zieht mich zur Seite.
    »Da unten sind noch viele von uns«, sagt er, während er mich keuchend gegen die Wand lehnt. »Das Gefühl ist … stärker, als ich es in Erinnerung hatte.«
    Jetzt erkenne ich einen Umriss im Boden – eine Falltür, die sich nach unten aufklappen lässt. Das erklärt die Ketten – wenn die Falltür offen steht, kann man das Bett darüberschieben und hinunterlassen. Ich stütze mich an der Wand ab und richte mich vollends auf.
    »Was seid ihr?«
    »Wir sind die Kinder der Erde.«
    »Aber was bedeutet das?«
    Vanek steht reglos da. »Es
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