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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst
Autoren: Dan Wells
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bedeutet, dass wir vor euch hier waren. Äonen vor dem Aufstieg der Menschheit lebten wir schon in den Tiefen der Erde und erforschten ihre Geheimnisse. Wir dachten nach, beobachteten und lernten.«
    »Seid ihr die Maden?«
    »Die Maden sind eine Erfindung Ihrer Phantasie«, erklärt Vanek. »Sie sind lediglich eine Darstellung von uns in Ihrem Bewusstsein. Sie haben etwas bemerkt, das Sie nicht völlig verstehen konnten, und haben eine Halluzination erschaffen, um ihm eine Gestalt zu verleihen. In Wirklichkeit besitzen wir überhaupt keine körperliche Gestalt.«
    »Das ist unmöglich.«
    »Seien Sie nicht so dumm«, seufzt er. »Was ist Intelligenz, wenn nicht eine organisierte Matrix elektrischer Impulse? Bei euch Menschen hat sie sich in Körpern entwickelt, aber mit eurer Überheblichkeit vermutet ihr, dies müsse bei anderen Lebensformen zwangsläufig auf ganz ähnliche Weise geschehen.«
    »Ihr reagiert nicht nur auf elektrische Felder«, sage ich, als es mir endlich dämmert. »Ihr seid elektrische Felder.«
    »Wir sind Energie«, bestätigt er. »Ungehindert fließende und – wie wir entdeckt haben – auch ungeschützte Energie.«
    Ich starre die Falltür an. Durch die Schuhsohlen spüre ich immer noch den Sog. Sie fühlen sich so mächtig an – was könnte diese Wesen überhaupt verletzen? »Ungeschützt wovor?«
    »Vor euch«, sagt er. »Vor euren Funkgeräten, Handys, der ganzen Zivilisation. Je mehr Technik ihr gebaut habt, desto stärker habt ihr uns angegriffen. Auf dem ganzen Planeten strahlt ihr Wellen, Felder und Signale ab.«
    Ich nicke. »Deshalb haben mir die Signale so weh­getan – weil sie auch euch wehtun.«
    »Sie verletzen uns ebenso, wie ein körperlicher Angriff euren Körper beschädigt. Inzwischen habt ihr die ganze Welt mit euren Strahlen verseucht. Seit fast hundert Jahren bombardiert ihr uns mit einem unablässigen Sperrfeuer schädlicher Felder und fremder Strahlung. Beinahe habt ihr schon unsere Fähigkeit zerstört, überhaupt noch zu überleben.«
    Mit offenem Mund starre ich die Falltür an. »Das wussten wir nicht.«
    »Spielt das eine Rolle?«, fragt er. »War Unwissenheit jemals eine Entschuldigung für Mord? Gilt dies nicht auch in eurer eigenen schwachsinnigen Gesellschaft? Wir leben in einer sehr begrenzten geologischen Schicht – wir brauchen gewisse Felsformationen, gewisse mineralische Strukturen, die unsere Felder leiten können. Von dort habt ihr uns vertrieben, weiter und immer weiter, bis wir nicht mehr überleben konnten. Die einzige Möglichkeit bestand schließlich darin, dass wir hervorkamen.«
    »Um uns die Körper zu stehlen?«, hake ich nach. »Ihr werft uns vor, euch vertrieben zu haben, aber nun kommt ihr und tragt uns wie Kleidungsstücke. Als wären wir eine Art Strahlenschutzanzug.«
    Er tritt zum Bett und legt einen Hebel um. Die Falltür klappt auf, und das Bett rutscht bis an die Kante der Öffnung. Ich nähere mich und spähe in das Loch hinein. Das Kribbeln in den Beinen wird stärker.
    Es ist eine tiefe Grube, dunkel und pechschwarz wie ein leerer Brunnen. Die Wände sind rau und uneben, voller Lücken, Löcher und vorspringender spitzer Steine. Diese Öffnung wurde nicht künstlich geschaffen, sondern entstand auf natürliche Weise, wurde vielleicht vom Wasser ausgewaschen oder durch ein Erdbeben aufgerissen. Ich kann kaum noch atmen. Dies ist der Schacht, an den ich so oft gedacht habe, der mich so lange verfolgt und der so viele andere Erinnerungen überlagert hat. Ich kenne diesen Ort.
    »Ich war schon einmal hier«, sage ich. »Dort unten.«
    Vanek nickt. »So sind wir verschmolzen. Beim ersten Mal war es Zufall. Ein Farmer ist eingebrochen und in das Loch gestürzt. Das war übrigens Ihr Freund Milos. Als er endlich klar erkennen konnte, was passiert war – dass keine Gefahr drohte und der Schmerz aufgehört hatte –, warf er nacheinander die anderen hinein, damit wir uns zu ihm gesellen konnten. Stellen Sie sich vor, welche Schmerzen wir litten, als wir uns auf ein solch verrücktes Vorhaben einließen – wir gaben unser altes Leben auf und verschanzten uns in einem niederen Wesen. Das ist ungefähr so, als beschlössen Sie, als Gemüse weiterzuleben.«
    Ich starre in den Schacht, stelle mir die Dunkelheit, die Schmerzen und die Angst auf beiden Seiten vor. Unschuldige Wesen, angegriffen von ihrer eigenen Welt. »Ich kann es nur ahnen.«
    »Das war neunzehnhundertzweiundfünfzig. Und nun malen Sie sich aus, wie viel schlimmer es
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