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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst
Autoren: Dan Wells
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wieder Ellie.
    »Wer soll sie denn sonst sein?«, flüstere ich.
    »Sie könnte deine Mutter sein.«
    Ich schüttle den Kopf, heiße Wut flammt in mir auf. »Meine Mutter ist tot.«
    »Das haben sie dir erzählt«, sagt Lucy. »Aber woher weißt du, dass es stimmt? Du warst damals drei Monate alt.«
    Abermals ergreift Ellie das Wort. »Euch ist sicher allen bewusst, dass die Rückkehr des Doktors für uns den Beginn einer neuen Ära verheißt. Es wird zahlreiche Segnungen geben, aber uns erwartet auch eine Menge Arbeit. Wir haben viel zu tun.«
    »Die Polizei sagt, als Cernys Haus gestürmt wurde, seien nur noch zwei Mütter dort gewesen«, widerspreche ich leise. »Beide wurden während des Angriffs erschossen.«
    »Wo war dann Ellie?«, fragt Lucy.
    »Das weiß ich nicht.«
    Ellie deutet auf einen Mann in der ersten Reihe. »Danny, die Abteilungsberichte.«
    Der Mann steht auf. »Das Getreide steht gut, die Tiere sind gesund, der Verkauf an den Lebensmittelständen läuft ausgezeichnet. Im Obstgarten rechnen wir dieses Jahr mit einer Rekordernte. Wir würden gern erweitern und zusätzlich Apfelsaft produzieren.«
    »Und die Finanzen?«
    »Wir sind völlig unabhängig von der Außenwelt. Da der dritte Brunnen gebohrt ist, brauchen wir das Wasser der Stadt nicht mehr.«
    »Dann trinken wir alle ab sofort nur noch Brunnenwasser«, entscheidet Ellie. »Wir müssen uns so bald wie möglich daran gewöhnen. Teil einige aus der Phase drei zum Wasserholen ein.«
    Ich achte nicht auf die Worte, sondern konzentriere mich auf das Gesicht. »Irgendwie ersetzt dieses verschwommene Etwas unser Mienenspiel, genau wie das Bewusstsein dahinter unser altes Bewusstsein ersetzt«, flüstere ich Lucy zu. »Ich habe mein Leben lang Dinge gesehen, die andere nicht wahrnehmen konnten, und es war die ganze Zeit real.«
    »Deshalb warst du als Einziger imstande, das Rätsel zu lösen«, erklärt Lucy. »Du siehst, was sonst niemand sieht.«
    »Erkennst du die Gesichter?«
    »Ich nehme nur wahr, was du wahrnimmst.«
    Ich kämpfe den Drang nieder, sie anzublicken und spreche sehr leise. »Was siehst du denn, wenn du mich anblickst?«
    Lucy muss ihre Bewegungen nicht verbergen wie ich. Sie tritt vor mich und starrt mich an. »Eine Erinnerung, glaube ich. Dein Bild von dir selbst.«
    »Das tut mir leid.« Ich senke den Blick. »Ich sehe bestimmt schrecklich aus.«
    »Nein, es ist nicht dein derzeitiges Aussehen, sondern ich nehme dich so wahr, wie du aussehen willst. Du hast mich erschaffen, um in dir selbst das Beste zu erkennen.«
    Ich lache, es ist nur ein kurzes, stimmloses Schnaufen. »Selbst das Beste ist nicht immer gut genug.«
    Lucy legt mir eine Hand auf das Gesicht, und ich schließe die Augen, als ich die schmerzhaft weichen Finger spüre. »Du bist besser, als du glaubst«, flüstert sie.
    »Phase drei macht gute Fortschritte«, berichtet der Mann, der vorn steht. »Die meisten Frauen sind schwanger, und es gab seit Adrianas Unglück im Mai keine Fehlgeburten mehr. Wir glauben, sie ist bereit und kann gefahrlos wieder geschwängert werden.«
    »Gut«, sagt Ellie. »Du wirst sicher einen der Halseys einsetzen.«
    »Üblicherweise täte ich das«, erwidert der Mann, »aber wir machen uns seit einiger Zeit Sorgen wegen des begrenzten Genpools. Ich empfehle, dass wir jemand Neuen nehmen.«
    »Richtig so«, stimmt Ellie zu. »Und was macht der Prozess?«
    »Der Prozess läuft mit voller Kapazität«, sagt der Mann. »Noch eine oder höchstens zwei Generationen, und wir sind alle geschützt.«
    »Ausgezeichnet«, lobt Ellie. »Nun wird es Zeit, mit Phase vier zu beginnen.« Sie blickt mich an. »Wir haben so lange darauf gewartet – fast fünfzig Jahre lang, auch wenn es sich so anfühlt, als wäre es viel länger gewesen. Endlich ist die Zeit gekommen. Doktor Vanek – Ambrose, willst du mir die Ehre erweisen?«
    Ich erbleiche, Lucy packt mich voller Angst am Arm. »Die Ehre erweisen?«
    »Ja«, sagt sie. »Schließlich ist es dein Plan, und da du zurückgekehrt bist, solltest du ihn auch vorstellen. Mit wenigen Ausnahmen ist hier der ganze Rat versammelt, und wir wären begeistert, wenn … wenn du nach vorn kommen und uns Phase vier im Einzelnen erläutern könntest.«



Wieder wenden sich die leeren, teilnahmslosen Gesichter zu mir um. Ich starre zurück und überlege, was ich tun soll. Vorsichtshalber lasse ich Lucys Hand los, weil ich Angst habe, mich durch die Körperhaltung zu verraten: Er ist schizophren, er sieht Leute, die
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