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Du sollst nicht sterben

Titel: Du sollst nicht sterben
Autoren: Peter James
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sollte sie in ihrer Wohnung sein und in den Strumpf schauen, den ihre Mutter mit der Post geschickt hatte. Seit ihrer Kindheit bekam sie jedes Jahr einen Weihnachtsstrumpf, dabei war sie schon zweiundzwanzig.
    Sie fing an zu weinen. Sie hörte das dumpfe Hin und Her der Scheibenwischer. Plötzlich dröhnte laut und knisternd Elton Johns Candle in the Wind aus dem Radio. Sie sah, wie der Mann seinen Kopf im Takt der Musik wiegte.
    Dieses Lied hatte Elton John mit einem neuen Text auf Prinzessin Dianas Trauerfeier gesungen. Rachael konnte sich lebhaft an diesen Tag erinnern.
    Sie war eine von Hunderttausenden Trauernden draußen vor Westminster Abbey gewesen, hatte das Lied gehört und die Trauerfeier auf einem der riesigen Bildschirme verfolgt. Sie hatte die Nacht auf dem Gehweg kampiert und am Tag davor fast ein gesamtes Wochengehalt, das sie im Kundenservice von American Express in Brighton verdiente, für ein Gesteck ausgegeben, das sie zu den Tausenden anderen vor dem Kensington Palace niedergelegt hatte.
    Sie hatte die Prinzessin vergöttert. Als Diana starb, war auch etwas in ihr gestorben.
    Und nun begann ein neuer Albtraum.
    Der Lieferwagen bremste scharf, so dass sie ein Stück nach vorn rutschte. Wieder versuchte sie, die Hände zu bewegen, und auch ihre Beine waren schrecklich verkrampft. Doch sie konnte sich nicht rühren.
    Es war der erste Weihnachtstag, und ihre Eltern erwarteten sie zu einem Glas Champagner und einem festlichen Mittagessen, gefolgt von der Ansprache der Königin im Fernsehen. Auch das war Tradition, genau wie der Strumpf.
    Wieder versuchte sie zu sprechen, den Mann anzuflehen, doch ihr Mund war zugeklebt. Sie musste pinkeln und hatte sich vor einiger Zeit schon selbst beschmutzt. Das konnte sie nicht noch einmal tun. Sie hörte ein Klingeln. Ihr Handy, sie erkannte den Klingelton. Der Mann drehte kurz den Kopf und schaute wieder nach vorn. Der Lieferwagen fuhr weiter. Durch die schmutzige Windschutzscheibe sah sie eine grüne Ampel vorbeihuschen. Dann Gebäude auf ihrer Linken, die sie erkannte. Das Spielwarengeschäft Gamley’s. Sie waren auf der Church Road in Hove. Und fuhren nach Westen.
    Das Klingeln verstummte. Kurz darauf erklang ein Piepton, der eine Nachricht ankündigte.
    Von wem?
    Tracey und Jade?
    Oder von ihren Eltern, die frohe Weihnachten wünschen wollten? Von ihrer Mutter, die besorgt wissen wollte, ob ihr der Strumpf gefiel?
    Wie lange würde es dauern, bis sie sich Sorgen machten?
    Wer zum Teufel war dieser Mann?
    Sie rollte nach links, als der Lieferwagen eine scharfe Rechtskurve nahm. Dann eine Linkskurve. Noch eine. Er hielt an.
    Das Lied verklang. Eine fröhliche Männerstimme berichtete, wo der wunderbare Elton John das Weihnachtsfest verbrachte.
    Der Mann stieg aus, ließ den Motor jedoch laufen. Die Auspuffgase und die Angst verstärkten die Übelkeit. Sie gierte förmlich nach Wasser.
    Er kehrte in den Lieferwagen zurück. Sie fuhren weiter. Dann wurde der Motor ausgeschaltet und das Radio erlosch, und es herrschte einen Augenblick absolute Stille. Der Mann stieg aus.
    Ein metallisches Scheppern, als die Fahrertür zugeworfen wurde.
    Noch ein metallisches Scheppern, und das Licht erlosch.
    Dann lag sie in völliger Dunkelheit da und wimmerte vor Angst.

10
Freitag, 26. Dezember 1997
    Gestiefelt und gespornt und mit der schicken roten Paisley-Krawatte um den Hals, die Sandy ihm gestern zu Weihnachten geschenkt hatte, ging Roy Grace den Flur entlang. Links von ihm befand sich eine blaue Tür mit der Aufschrift Superintendent und rechts von ihm eine mit der Aufschrift Chief Superintendent. Er fragte sich oft, ob er es jemals zum Chief Superintendent bringen würde.
    Das Gebäude war am Morgen des ersten Weihnachtstages völlig verlassen, bis auf die wenigen Mitglieder der Operation Houdini, die sich in der Soko-Zentrale im obersten Stock befanden. Sie arbeiteten noch immer rund um die Uhr, um den als Schuh-Dieb bekannten Serienvergewaltiger zu fassen.
    Während er wartete, dass das Wasser kochte, dachte Roy einen Augenblick an die Mütze des Chief Superintendent. Mit ihrem silbernen Band unterschied sie sich von den unteren Rängen und war zweifellos höchst begehrenswert. Allerdings fragte er sich, ob er clever genug war, so weit aufzusteigen – vermutlich nicht.
    Eines hatte Roy Grace über Sandy während ihrer Ehe gelernt: Sie war eine Perfektionistin, wenn es darum ging, ihre persönliche Welt zu gestalten, und konnte sehr jähzornig werden, wenn etwas
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