Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen
Autoren: Mats Wahl
Vom Netzwerk:
nackten Person, vielleicht war es Annie. Wir schlafenschon seit Ewigkeiten nicht mehr im selben Bett, aber früher haben wir das oft getan, besonders wenn ich Albträume hatte. Ich durfte immer zu ihr ins Bett kriechen, wenn ich mich einsam fühlte.
    Niemand riecht so gut wie sie. Es spielt keine Rolle, was für ein Shampoo oder welches Duschgel sie benutzt hat, sie riecht immer gleich, wie nach Mandeln oder Nüssen.
    »Aufwachen, Tom!«, rief Mama, und bevor ich die Augen öffnete, hörte ich, dass Regen gegen die Scheibe schlug.
    Mama schüttelte mich an der Schulter.
    »Ich kann dich zur Schule fahren, aber dann musst du sofort aufstehen.«
    »Wie spät ist es?«
    »Du schaffst es, wenn du sofort aufstehst.«
    »Regnet es?«
    »Es gießt, steh jetzt auf. Ich bring dich. Annie muss erst um neun da sein, Morgan nach dem Mittag. Du musst allein frühstücken.«
    Mama war stark geschminkt, wie immer, wenn sie schlecht geschlafen hatte.
    »Beeil dich, ich koche Tee, und dann bringe ich dich hin!«
    Also stand ich auf, duschte und ging in die Küche. Mama hatte Brot getoastet und die Scheiben mit einem sauberen Geschirrtuch bedeckt, damit sie sich warm hielten. Bathseba rieb sich an meinem Bein.
    »Morgan hat ein Spiel in Södertälje«, sagte Mama. »Er möchte, dass wir zugucken kommen. Ich hab ja keine Zeit. Kannst du hinfahren?«
    »Um wie viel Uhr findet das Spiel statt?«, fragte ich aus Höflichkeit, damit sie nicht traurig war.
    »Um fünf.«
    »Weiß nicht, ob ich das schaffe. Kann Annie nicht fahren?«
    »Sie ist mit Dick verabredet.«
    Bathseba strich mit steil aufgerichtetem Schwanz um Mamas Beine.
    »Wir müssen die Tür zum Wohnzimmer geschlossen halten«, sagte Mama. »Sonst sind die Sofas bald voller Haare.«
    Der Regen hatte aufgehört, gegen das Fenster zu trommeln.
    »Es hat aufgehört«, sagte ich, den Mund voller Toastbrot. »Ich nehm das Fahrrad.«
    »Ist es nicht besser, wenn ich dich bringe?«
    »Dann hab ich heute Nachmittag kein Fahrrad und muss zu Fuß nach Hause gehen.«
    »Mach es, wie du willst«, sagte Mama.
    Dann verschwand sie in ihrem Zimmer und kehrte mit einem Blatt Papier zurück, dem man ansah, dass es zerknüllt und wieder glatt gestrichen worden war. Es war eine von Berger & Falks Rechnungen. Jemand hatte mit Bleistift daraufgeschrieben:
    »Dass du so ein Schwein bist! Ich habe mich auf dich verlassen wie auf einen Bruder. Wir wollen nichts mehr mit dir zu tun haben, keiner von uns, das Beste wäre, du würdest wegziehen, damit uns dein Anblick erspart bleibt.«
    »Was ist das denn?«, fragte ich.
    »Es lag ganz zuunterst im Schuhkarton, unter den Fotos. Es ist wohl ein Brief von Harry.«
    Sie nahm die Rechnung wieder an sich, küsste mich in den Nacken und ging. Die Haustür schlug hinter ihr zu, und dann startete sie das Auto und verschwand.
    Es wurde ganz still.
    Ich aß vier Scheiben Brot, goss kaltes Wasser in den Tee, leerte die Tasse und verließ das Haus. Ich nahm einen Spüllappen mit nach draußen und wischte den Fahrradsattel ab, warf den Lappen auf die Treppe und stieg aufs Rad.
    Wenn ich in Höchstgeschwindigkeit durch den Wald fahre, brauche ich neun Minuten bis zur Schule.

    Genau in dem Moment, als es zur Stunde klingelte, schloss ich das Rad im Fahrradständer an. Und in dem Augenblick, als ich den Dachüberstand erreichte, der über dem Eingang ist, begann es wieder zu regnen.
    Hinter der Tür stand der Direktor. Er trug ein blaues Sakko, einen hellgelben Schlips, ein weißes Hemd und eine Hose mit Bügelfalten. Vielleicht würde er im Lauf des Tages seinen Chef treffen? Nehme an, wenn ein Direktor seinen Chef trifft, trägt er kein nach Schweiß stinkendes T-Shirt, auf dem RESPEKT steht.
    Sobald er mich erblickte, streckte er einen Arm aus und zeigte auf mich.
    »Tom! Komm nach der ersten Pause in mein Zimmer!«
    Dann nickte er wieder jedem zu, der zur Tür hereinkam, und als er Madeleine entdeckte, lächelte er sogar.
    Ich ging weiter zu unserem Klassenzimmer. In der ersten Stunde hatten wir Mathe. Marc und Tubal fehlten, Nadja war auch nicht da.
    Wir sollten Prozentrechnen wiederholen.
    »Ein Mann leiht sich viertausend Kronen. Die Zinsen betragen fünf Prozent. Was muss er nach einem halben Jahr bezahlen, wenn er die ganze Summe plus Zinsen zurückzahlt?«, fragte Lundin.
    Sie wiederholte ihre Frage zweimal. Ich hatte die Aufgabe gelöst, ehe sie sie noch ein drittes Mal wiederholte. Aber ich gab keinen Mucks von mir. So hätte Dick es ausgedrückt, dass ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher