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Du Mich Auch

Du Mich Auch

Titel: Du Mich Auch
Autoren: Ellen Berg
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Mails. Katharina verschickte SMS an Parteifreunde. Handynetworken. Das machten Politikerinnen heutzutage so.
    Nach einer Ewigkeit bog der Wagen in einen holprigen Feldweg ein. Sie ließ ihr Handy sinken und klappte den Laptopzu. Auf der rechten Seite kam ein See in Sicht, auf der linken ein Parkplatz. Mitten auf dem Weg stand ein roter Kleinwagen. Der Fahrer hupte ihn an. Keine Reaktion. Leise fluchend setzte er zurück, umfuhr das Auto und kurvte eine geschwungene Auffahrt hoch. An deren Ende, auf einem kleinen Hügel, stand ein rosafarbenes Schlösschen. Mit Säulen und Zinnen und Türmchen. Wie eine XXL-Version von Barbies Traumhaus.
    »Gefunden!«, strahlte der Fahrer. »Schlosshotel Seeblick. Soll ich Sie hineinbegleiten?«
    Zwischen zusammengekniffenen Lippen stieß Katharina hervor: »Danke. Frauen können im einundzwanzigsten Jahrhundert mehr als kochen, nuttige Wäsche anziehen und Ölmassagen verabreichen. Und sie können ganz allein auf eine Party gehen.«
    Der Fahrer verzog keine Miene.
     
    Evi saß schon länger in ihrem kleinen roten Auto, mit abgestelltem Motor. Sie hatte überhaupt keine Lust auszusteigen. Nicht einmal der aufdringliche Huper hatte sie aus ihrer Antriebsschwäche reißen können. Wenn sie ehrlich war: Ihr graute vor dem Abend. Im Grunde war ihr ganzes Leben grauenhaft. Aber sie hatte nun mal zugesagt, an dem Treffen teilzunehmen. Und ihre preußische Erziehung gebot ihr, dass sie jetzt nicht kneifen durfte.
    Sie drehte den Rückspiegel so, dass sie sich betrachten konnte. Diese verhuschte kleine Person, die aus ihr geworden war. Das spießige Muttchen. Eine Lachnummer vom Scheitel bis zur Sohle. Die Frisur eine Dauerbaustelle, das Kleid ein Sack, die Schuhe wie geschaffen für ausgedehnte Bergwanderungen.
    Warum war ihr das alles nicht schon zu Hause aufgefallen? Warum stellte sie erst jetzt fest, dass sie völlig falsch angezogen war, dringend zum Friseur musste und in einer Verfassung war, in der man am besten ins Bett ging und die Nacht durchheulte? Ganz zu schweigen vom üppig wuchernden Fettgewebe, das ihr den Charme einer Presswurst verlieh. Mit den Mengen von Anticellulitegels in ihrem Badezimmer hätte man den Grand Canyon glätten können. Nur, dass das Zeug bei ihr leider nicht wirkte.
    Sie fingerte ein Taschentuch aus ihrer abgegriffenen Handtasche und rieb die Schminke von ihrem Mund. Es hatte keinen Sinn. Selbst ein Chanel-Lippenstift konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Mundwinkel steil nach unten zeigten und ihre Augen rettungslos verquollen waren. Der tränentreibende Ehestreit war das Abschiedsgeschenk ihres Gatten gewesen, bevor sie losgefahren war. Netter Versuch, eigentlich. Immerhin zeigte er nach langer Zeit mal wieder Interesse.
    Sie sah auf die Uhr. Halb acht schon. Seit sieben war drinnen im Hotel vermutlich der Teufel los. Nach den zahllosen Autos auf dem Parkplatz zu schließen, musste die alte Crew ziemlich vollzählig sein. Ihr Herz klopfte. Warum hatte sie den verdammten Brief nicht einfach ungeöffnet entsorgt? Warum hatte sie die Einladung gelesen und pflichtbewusst ihr Kommen angekündigt?
    Ein nussbrauner Geländewagen näherte sich von hinten und raste so haarscharf an ihr vorbei, dass eine Ladung Sand auf der Windschutzscheibe landete. Evi drehte den Rückspiegel wieder in die korrekte Position. Sie war am Ende. Und das Schreckliche war: Jeder würde es merken. Sie kannte ihn ja, den Mitleidsblick, mit dem man sie streifte, wenn sieausging. Wenn sie überhaupt ausging. Sie hatte sich längst abgewöhnt, auf irgendwelchen Partys rumzustehen.
    So richtig wohl fühlte sie sich nur in ihrer Küche. Landhausstil, frühe Neunziger, altmodischer ging’s nicht. Aber sie liebte diese Küche. Sehnsuchtsvoll dachte sie an den Apfelkuchen, den sie am Nachmittag gebacken hatte. Für die Kinder. Die Kinder, die sich kaum noch zu Hause aufhielten, weil sie ihre Freunde spannender fanden als das trauernde Muttertier. Gleich würde sie aussteigen. Nur ein paar Minuten noch. Sie richtete sich sehr gerade auf und wischte sich eine Träne von der Wange.

Kapitel 2
     
    »Liebe Schülerinnen, liebe Schüler! Äh, liebe Ehemalige!« Es piepste. Es piepste sogar ganz gewaltig. Der grauhaarige Herr mit den Schuppen auf dem Jackett schraubte aufgeregt an seinem Mikro herum. »Ich heiße Sie im Namen des gesamten Kollegiums herzlich –
piieeeps
– willkommen zum fünfundzwan… –
pieppiep
– …zigsten Jubiläum Ihres …«, er drehte den Zettel in seinen
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