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Du lebst nur zweimal

Titel: Du lebst nur zweimal
Autoren: Ian Fleming
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Arbeit, am Leben überhaupt habe. Das erzählen mir meine Patienten jeden Tag. Das ist eine Form der Psychoneurose, die allmählich oder ganz plötzlich auftreten kann. Im Fall Ihres Mannes wurde sie mit einem Schlag durch eine unerträgliche Lebenssituation hervorgerufen - oder durch eine Situation, die er für unerträglich ansah, weil sie ihm nie zuvor begegnet war: der Verlust eines geliebten Menschen, in seinem Fall dadurch verschlimmert, daß er sich die Schuld an ihrem Tod gibt. Weder Sie noch ich müssen eine solche Bürde mit uns herumschleppen, also wissen wir auch nicht, wie wir darauf reagieren würden. Aber ich kann Ihnen verraten, daß es eine verdammt schwere Last ist. Und Ihr Mann gibt unter ihr nach. Ich war der Ansicht - das habe ich auch in meinem Bericht dargelegt -, daß seine Arbeit und die mit ihr verbundenen Gefahren und Verwicklungen ihn aus seiner Lethargie aufrütteln würden. Ich habe herausgefunden, daß man den Leuten klarmachen muß, daß ein Unglück nicht das Ende bedeutet - daß man die Schmerzen des Lebens auf sich nehmen muß, solange man noch atmen kann. Sie werden oft endlos und unerträglich erscheinen. Aber sie sind ein Teil der menschlichen Natur. Haben Sie ihm in den letzten Monaten irgendwelche schwierigen Aufgaben übertragen?«
    »Zwei«, sagte M. düster. »Er hat sie beide verpfuscht. Bei der einen hat er fast selbst daran glauben müssen, und bei der anderen machte er einen Fehler, der für andere gefährlich war. Das ist auch etwas, das mich beunruhigt. Früher hat er nie Fehler gemacht. Jetzt passiert ihm plötzlich einer nach dem anderen.«
    »Ein weiteres Symptom für seine Neurose. Was werden Sie mit ihm machen?«
    »Rauswerfen«, sagte M. brutal, »als hätte man ihn zusammengeschossen. Ich habe in meiner Abteilung keinen Platz für einen Stümper, ganz egal, was er vorher geleistet hat, oder welche Entschuldigungen ihr Psychologen für ihn findet. Natürlich bekommt er Pension. Ehrenvolle Entlassung und der übliche Zimt. Wir versuchen, für ihn Arbeit zu finden. Eine dieser neuen Gesellschaften, die für die Sicherheit der Banken zuständig sind, nimmt ihn vielleicht.« M. sah entschuldigend in die klaren blauen und verständnisvollen Augen des berühmten Neurologen. »Verstehen Sie meinen Standpunkt, Sir James?« sagte er und versuchte so, Unterstützung für seine Entscheidung zu erhalten. »Ich habe im Hauptquartier und im Außendienst genug Leute. Es ist einfach kein Platz da, wo ich 007 hinstecken kann, damit er kein Unheil anrichtet.«
    »Sie verlieren einen Ihrer besten Männer.«
    »Das war er mal!«
    Sir James Molony lehnte sich zurück. Er sah zum Fenster hinaus und zog nachdenklich an seiner Zigarre. Er konnte Bond gut leiden. Er war schon öfter sein Patient gewesen. Und er hatte gesehen, wie der Mut, wie die Widerstandskraft dieses Mannes ihn völlig verfahrene Situationen überstehen ließen, die einen normalen Menschen zerbrochen hätten. Er wußte, daß eine verzweifelte Lage diese Widerstandskraft wiedererwecken, daß sein Lebenswille in einer echten Gefahr wieder aufleben würde. Er erinnerte sich daran, daß unzählige neurotische Patienten für immer aus seinem Sprechzimmer verschwunden waren, nachdem der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war. Die eine große gemeinsame Sorge hatte die kleinen verschwinden lassen. Er kam zu einem Entschluß und wandte sich wieder an M.: »Geben Sie ihm noch eine Chance, M. Ich übernehme gern die Verantwortung dafür.«
    »An was für eine Chance denken Sie?«
    »Nun, ich weiß nicht allzuviel über Ihre Tätigkeit, M. Ich will auch gar nicht zu viel wissen. Mein Beruf verschafft mir genügend Geheimnisse, die ich für mich behalten muß. Aber haben Sie nicht irgend etwas wirklich Ausgefallenes, irgendeine anscheinend undurchführbare Aufgabe, die Sie diesem Mann übertragen können? Ich meine damit nicht unbedingt etwas Gefährliches wie ein Attentat oder die Beschaffung des russischen Geheimkodes. Aber etwas, das ungeheuer wichtig und zugleich scheinbar unmöglich ist. Geben Sie ihm meinetwegen gleichzeitig einen Tritt in den Hintern, wenn es Ihnen Spaß macht, aber er braucht unbedingt eine Aufgabe, die alle seine Fähigkeiten herausfordert, die ihn bis zum äußersten beansprucht, so daß er einfach gezwungen wird, seine persönlichen Schwierigkeiten zu vergessen. Geben Sie ihm etwas, das für unser Land wichtig ist. Er ist ein Patriot. Es wäre einfach, wenn wir Krieg hätten - Tod oder Ruhm lassen einen
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