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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
Autoren: Katharina Saalfrank
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Kinder – durch die Diagnosen der Ärzte verunsichert – reden, könnte man meinen, ein Walfisch habe sich in den Goldfischteich verirrt. Es klingt, als wäre etwas überaus Unnatürliches und Schlimmes passiert, das Kind steht mit seinen vermeintlichen Defiziten plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Es passt nicht in unser Bild, es ist im Weg, es »funktioniert« nicht in unserem System.
    Sieht man die steigenden Zahlen von verhaltensauffälligen Kindern, könnte man den Experten fast selbst Glauben schenken. So ist doch die Botschaft zwischen den Zeilen: Die Kinder wachsen uns über den Kopf, sie werden immer schwieriger, wir stehen machtlos daneben. Das Kind wird zunehmend eher als Bedrohung und Belastung denn als Bereicherung und Glück empfunden. Bei solchen Aussichten ist es kaum verwunderlich, dass Eltern massiv verunsichert sind, eine grundsätzliche Entscheidung, Kinder zu bekommen, noch schwieriger wird, als sie ohnehin schon ist, und dass Kinder zunehmend argwöhnisch beobachtet werden: Wie eine Heuschreckenplage, die wir zwar selbst in die Welt gesetzt, über die wir aber längst die Kontrolle verloren haben.
    Wenn ständig behauptet wird, dass Kinder, die sich nicht so verhalten, wie ihre Eltern oder die Umwelt es erwarten, schnell zu einer Bedrohung der gesamten Gesellschaft werden, dass Unsicherheiten von Eltern und kleine »Fehler« in der Erziehung unserer Kinder folgenschwere Konsequenzen haben können – dann ist es kein Wunder, dass sich Eltern bei der ersten Abweichung von dem von ihren Kindern erwarteten Verhalten irritiert an den nächsten Arzt wenden oder sich mit einer Wand aus Ratgebern umstellen und die darin vorgeschlagenen Maßnahmen und Regeln Schritt für Schritt wie bei einem Backrezept befolgen. Wenn man sich nur an alle Zutaten und Arbeitsschritte hält, dann kommt doch am Ende hoffentlich ein »anständiges« und »normales« – ein für unsere Welt kompatibles – Kind dabei heraus. Was auch immer das ist.
    Durch zunehmende Normierungstendenzen in allen Bereichen wird unser Blickfeld auf Kinder immer enger. Dass Entwicklung vielfältig und individuell und trotzdem noch natürlich sein kann, findet in den Tabellen kaum Platz. Und so werden Eltern verunsichert und fragen sich: Ist mein Kind in Ordnung? Zeigt es »normales« Verhalten? Ein wenig so, als sei eine Krankheit im Umlauf, die unsere Kinder mehr oder weniger zufällig befallen könnte. Als habe niemand und nichts Einfluss auf diese Entwicklung unserer Kinder und als stünde das Verhalten von Kindern in keinem familiären oder gesellschaftlichen Zusammenhang.
    Natürlich ist es einfacher und mit weniger Aufwand verbunden, mit dem Finger auf den anderen zu zeigen und zu sagen: Du, Kind, bist nicht in Ordnung, mit dir stimmt etwas nicht! Es ist auch deshalb bequem, weil die Erwachsenen dann Verantwortung abgeben können und nicht auf sich selbst schauen müssen: Welchen Anteil tragen wir selbst vielleicht daran, dass ein Kind sich so oder so verhält? Stattdessen wird das Verhalten der Kinder problematisiert und pathologisiert. Es ist bequem und entlastend für uns, zu sagen: Das ist nicht normal! Was wir damit eigentlich meinen: Das Kind ist nicht normal – es verhält sich nicht normgerecht! Es fällt auf und raus aus unserem Raster für das, was wir als »normal« empfinden.
    Aber: Es geht hier nicht darum, Eltern und Erziehenden »Schuld« zuzuschieben. Es geht um Verantwortung! Und darum, zunächst unsere eigenen Denk- und Verhaltensmuster aufzudecken und zu verstehen, welche Wirkung sie auf uns und unsere Kinder haben.
    Es entsteht ein Zerrbild, und es ist ein Missverständnis, wenn wir denken, dass wir keine Verantwortung tragen! Denn unser Umgang mit einem Kind und auch die von uns bereitgestellte Umwelt haben immer Einfluss auf das Kind und seine Entwicklung. Es verhält sich immer der Umwelt entsprechend, deshalb können wir Kinder und ihr Verhalten nicht ohne den Gesamtzusammenhang betrachten.
    Ich beobachte aber noch etwas anderes: Wesentliche Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie – zu den Ursachen bestimmter Verhaltensweisen, die zu einer notwendigen und gesunden Gesamtentwicklung von Kindern gehören – sind nicht in unserer Gesellschaft angekommen. Ein tiefes Tal der Zusammenhangslosigkeit liegt zwischen den Erkenntnissen von Erziehungswissenschaft, empirischer Säuglingsforschung, Entwicklungspsychologie und aktueller Hirnforschung einerseits und angewandter praktischer Pädagogik in Familien
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