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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben
Autoren: K Weßling
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Hause?«
    » Weil ich jemanden hier treffen musste.«
    » Mich vielleicht.«
    » Würdest du das gerne hören?«
    » Nein. Wir kennen uns ja nicht. Es wäre komisch.«
    » Ich bin sehr komisch.«
    » Alle sind immer sehr komisch.«
    » Ich bin komischer.«
    » Du wirkst nicht so.«
    » Wie wirke ich denn?«
    » So, als wärest du müde und hättest schon viel von diesem Wasser getrunken.«
    » Wie heißt du?«
    » Johannes.«
    » Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
    » Das liegt daran, dass ich es dir gerade schon einmal gesagt habe.«
    » Ich vergesse ziemlich viel in der letzten Zeit.«
    » Du solltest mehr Wasser trinken.«
    » Ich bin so müde.«
    » Warum gehen wir dann nicht zu dir und legen uns in dein Bett?«
    » Weil ich komisch bin.«
    » Du wirkst nicht komisch.«
    » Ich bin sehr komisch.«
    » Bestimmt nicht mehr als ich.«
    » Ich werde morgen in eine Klinik gehen. So komisch bin ich.«
    » Eine Klinik? Was fehlt dir denn?«
    » Verstand. Schlaf. Am meisten Verstand.«
    » Du gehst in eine Klinik, um Verstand zu bekommen?«
    » Ja, irgendwie schon.«
    » In so eine Klinik möchte ich auch.«
    Die Erinnerungen der letzten Nacht laufen wie lachende Kinder viel zu laut schreiend und polternd durch meinen schmerzenden Kopf und beweisen, jede für sich, dass es wahr ist, dass es passiert ist, dass es schon wieder passiert ist und diese Situation kein Produkt eines schönen Abends war, sondern der gegärte Abfall aus Wein und Geschichten und Idiotie.
    Johannes also. Der Wodka also. Die Langeweile also. Locken und Nähe oder der klägliche Versuch derselben also. Johannes. Ich versuche, an seinem Kopf vorbei die Uhrzeit zu erkennen. Auf dem kleinen Nachttisch zeigt der Radiowecker 8:05 Uhr. Es ist Zeit. Es ist nur eine verdammte Uhrzeit. Zeit, das Gepäck im Flur zu nehmen und den Müll zu verlassen. Endlich diesen Müll zu verlassen.
    Leise stehe ich auf und schleiche auf Zehenspitzen und über Berge von Kleidung und Zeitungen steigend aus dem Zimmer. Der Kopf hämmert und schlägt die Sekunden im Takt. Das Licht über dem Spiegel lässt meine Pupillen für einen Moment winzig klein werden, bevor sie mich wieder aus roten Augen fixieren und sehen können, dass ich nackt bin, dass die Schminke längst verlaufen ist und in grauen Schatten unter meinen Augen hängend von dieser Nacht erzählt, wie von etwas, das noch gar nicht vorbei ist.
    Ich wasche das Gesicht und auch die Hände, wasche den Schmutz unter den Fingernägeln fort, wie einen Zeugen all der Dinge, in die ich mich festgegraben habe. Kein Abschiedsschmerz, kein trauriger Blick zurück, keine Geschichten mehr unter den Fingernägeln, die brennen und auch noch morgen von dieser Nacht berichten würden, auch, wenn die Botschaft niemand außer mir verstehen würde. Nachdem ich mich geschminkt habe, stecke ich alles in den kleinen Beutel, der schon halb gepackt auf der Ablage liegt, und schleppe ihn und mich aus dem Badezimmer.
    Johannes liegt unverändert in meinem Bett, nur sein Schnarchen ist einem schweren Atmen gewichen. Ich hebe vorsichtig ein paar Kleidungsstücke auf und rieche daran. Die meisten Kleider sind schon in der Reisetasche, und ich entscheide mich für das Kleid, an dem noch der Geruch von Zigaretten und Schweiß und Johannes hängt. Ich betrachte Johannes’ schlafenden Körper, der sich in der Zwischenzeit in die Mitte des Bettes bewegt hat und dort liegt, als sei es sein Bett und mit einer ihm eigenen Selbstverständlichkeit, sich diesen Raum zu erobern, und in einer Gleichgültigkeit, als sei er schon immer hier gewesen.
    Sein Gesicht sieht nicht friedlich aus. Es zuckt und bebt ein wenig, und eigentlich sieht es so aus, als bereite ihm der Schlaf Schmerzen, so zusammengekniffen sind seine Augen. Sein Mund ist geöffnet, und manchmal schmatzt er zwischen zwei Atemzügen, als äße er im Traum. Seine Anwesenheit in diesem Raum, in dieser Wohnung, an diesem Morgen widerspricht grundlegend all den Vorstellungen, die ich von den letzten Momenten auf dieser Müllhalde der Vernachlässigung gehabt habe. Sie widerspricht dem dringenden Wunsch, diese letzten Augenblicke hier allein zu verbringen, allein mit einem Abschied, der nur temporär, aber von so großer Bedeutung ist, dass ich ihn auf keinen Fall hätte teilen wollen.
    Ich erinnere mich an seinen fragenden Blick, als er das Gepäck im Flur sah, und daran, wie ich » Klinik« murmelte und er für einen kurzen Moment die Lippen aufeinanderpresste. Ich erinnere mich daran, wie er
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