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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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schalldichten Autoscheiben ihre Stimme verschlucken. Tatsache ist, dass Max, so unvermittelt wie einem manchmal Bruchstücke eines vergessenen Traumes wieder einfallen, vom fernen Echo einer Erinnerung aufgeschreckt wird. Dem Abglanz eines längst vergangenen Bildes, einer Geste, einer Stimme, eines Lachens. Er ist so perplex, dass der Wagen hinter ihm erst hupen muss, damit er den ersten Gang einlegt und ein Stück weiterfährt, ohne das Trio aus den Augen zu lassen, das jetzt auf der anderen Seite des Platzes angelangt ist und sich um einen der Tische auf der Terrasse der Bar Fauno in die Sonne setzt.
    Als er eben in den Corso Italia einbiegen will, überkommt ihn das vage Gefühl einer Erinnerung plötzlich aufs Neue, nur ist es jetzt die konkrete Erinnerung an ein Gesicht, eine Stimme. An eine Szene, oder mehrere. Wie vom Donner gerührt, tritt er so heftig auf die Bremse, dass das Auto hinter ihm zum zweiten Mal hupt und der Fahrer wütend gestikuliert. Max reißt das Steuer herum, der Jaguar schert nach rechts aus, bremst wieder und kommt an der Bordsteinkante zum Stehen.
    Er zieht den Zündschlüssel, bleibt reglos sitzen und betrachtet seine Hände auf dem Lenkrad. Schließlich steigt er aus dem Wagen, zieht die Jacke über und geht unter den Palmen entlang auf die Terrasse der Bar zu. Er ist nervös. Fast fürchtet er, seine Vermutung bestätigt zu finden. Das Trio sitzt dort und unterhält sich lebhaft. Um nicht aufzufallen, bleibt Max hinter ein paar Blumenkübeln mit hohen Sträuchern stehen. Der Tisch ist etwa zehn Meter entfernt, und er sieht die Frau mit dem Tweedhut von der Seite. Sie ist so ins Gespräch vertieft, dass sie nicht bemerkt, wie eingehend sie beobachtet wird. Ganz offensichtlich, denkt Max, war sie einmal sehr attraktiv, ihre Züge lassen die frühere Schönheit erahnen. Sie könnte die Frau sein, für die er sie hält, überlegt er zweifelnd, doch es ist schwer zu sagen. Zu viele weibliche Gesichter überlagern sich in seiner Erinnerung, denn es gab ein Vorher und ein langes Nachher. Hinter den Pflanzen versteckt, hält Max Ausschau nach möglichst vielen Einzelheiten, die zu den Bildern in seinem Gedächtnis passen könnten, gelangt jedoch zu keinem schlüssigen Ergebnis. Da er irgendwann auffallen wird, wenn er dort noch länger herumsteht, umrundet Max schließlich die Terrasse und setzt sich an einen der hinteren Tische. Er bestellt einen Negroni, und in den folgenden zwanzig Minuten mustert er das Profil der Frau, achtet auf ihre Mimik und jede Gebärde und vergleicht sie mit seinen Erinnerungen. Als die drei dieBar verlassen, wieder über den Platz und Richtung der Via San Cesareo davongehen, hat er sie endlich erkannt. Oder glaubt es zumindest. Er steht auf und folgt ihnen in einigem Abstand. Es ist lange her, dass sein altes Herz so schnell geschlagen hat.
    Die Frau tanzte gut, stellte Max Costa fest. Locker und beherzt. Sie traute sich sogar, ihm bei einem komplizierten Seitschritt zu folgen, den er improvisierte, um ihre Gewandtheit auf die Probe zu stellen, und bei dem eine weniger agile Tänzerin keine so gute Figur gemacht hätte. Sie musste Mitte zwanzig sein. Groß und schlank mit langen Armen, schmalen Handgelenken und endlosen Beinen unter dem feinen, violett changierenden Seidenstoff, der die Schultern und den Rücken bis zur Taille frei ließ. Dank der hochhackigen Schuhe, die das Abendkleid perfekt ergänzten, war ihr Gesicht auf gleicher Höhe mit seinem: ruhig, mit schön gezeichneten Zügen. Das dunkelblonde Haar war leicht gewellt und nach der aktuellen Mode im Nacken kurz geschnitten. Beim Tanzen hielt sie den Blick starr über die Frackschulter ihres Partners gerichtet, auf der ihre Hand mit dem Ehering ruhte. Nachdem er sich ihr mit einer höflichen Verbeugung genähert und sie zu diesem langsamen Walzer, einem sogenannten Boston, aufgefordert hatte, sahen sie sich kein einziges Mal mehr in die Augen. Ihre waren von einem so hellen Honigton, dass sie fast flüssig wirkten, mit ein wenig Wimperntusche betont – nicht mehr als unbedingt nötig, was auch für das Lippenrot galt –, und darüber wölbten sich die zu einer feinen Linie gezupften Brauen. Sie hatte nichts mit den anderen Frauen gemein, mit denen er an diesem Abend getanzt hatte: älteren Frauen mit aufdringlichem Duft nach Veilchen und Patchouli und tollpatschigen Backfischen in hellen, kurzen Kleidchen, die sich bemühten, nicht aus dem Takt zu kommen, und sich dabei vor Anstrengung auf die Lippen
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