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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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nicht einmal in seinen schlimmsten Momenten, dass er einmal mit »Señor?« antworten würde, wenn ihn jemand beim Vornamen ruft.
    »Auf geht’s, Max. Haben Sie die Zeitungen?«
    »Dort hinten liegen sie, Señor.«
    Das Zuklappen zweier Wagentüren. Er hat die Chauffeursmütze aufgesetzt, abgezogen und wieder aufgesetzt, um seinen Fahrgast einsteigen zu lassen. Als er hinter dem Lenkrad Platz nimmt, legt er sie auf den Beifahrersitz, wirft einen Blick in den Rückspiegel und streicht sich mit altgewohnter Eitelkeit über das graue, noch einigermaßen volle Haar. Nichts könnte die Ironie seiner Lage besser zum Ausdruck bringen als diese Mütze, denkt er, jetzt, da ihn die Gezeiten des Lebens nach seinem letzten Schiffbruch an dieses aberwitzige Ufer geschwemmt haben. Und trotzdem, wenn er in seinem Zimmer in der Villa vor dem Spiegel steht und beim Rasieren seine Falten zählt wie die Narben von Liebeswunden und Kriegsverletzungen, die er alle beim Namen kennt – Frauen, Spielkasinos, ungewisse Morgendämmerungen, glorreiche oder ernüchternde Abendstunden –, zwinkert er dem hochgewachsenen, nicht mehr ganz so schlanken alten Mann mit den dunklen, müden Augen verständnisinnig zu, wie einem guten Kumpel, dem er nichts zu erklären braucht. Alles in allem, suggeriert ihm sein Spiegelbild mit vertraulicher, leicht zynischer und sogar ein wenig durchtriebener Miene, lasse sich nicht leugnen, dass er sich mit seinen vierundsechzig Jahren, und obwohl ihm das Leben in letzter Zeit übel mitgespielt hat, noch immer glücklich schätzen darf. Anderen – Enrico Fossataro, dem alten Sándor Esterházy – blieb unter ähnlichen Umständen nur die Wahl zwischen der öffentlichen Wohlfahrt und einer Minute qualvoller Zuckungen im Bad einer armseligen Absteige, aufgehängt an ihrem Schlips.
    »Irgendwelche wichtigen Nachrichten?«, erkundigt sich Hugentobler.
    Vom Rücksitz des Wagens hört man das Rascheln flüchtig durchgeblätterter Zeitungen. Es war eher eine Bemerkung als eine Frage. Im Rückspiegel sieht Max die gesenkten Augen seines Chefs hinter der auf die Nasenspitze gerutschten Lesebrille.
    »Haben die Russen die Atombombe abgeworfen oder so was?«
    Hugentobler scherzt natürlich. Schweizer Humor.
    »Es ist nichts Besonderes passiert, Señor. Muhammad Ali hat wieder gewonnen, und die Astronauten der Gemini XI sind gesund und munter auf die Erde zurückgekehrt ... Und im Indochina-Krieg geht es immer härter zur Sache.«
    »Sie meinen den Vietnam-Krieg.«
    »Ach so, ja, Vietnam ... Und der Lokalteil meldet den Beginn des Schachturniers um den Campanella-Preis in Sorrent: Keller gegen Sokolow.«
    »Gütiger Himmel«, erwidert Hugentobler fahrig und spöttisch. »Ein Jammer, dass ich das verpasse ... Womit doch manche Leute ihre Zeit vergeuden, was, Max?«
    »Da haben Sie recht, Señor.«
    »Können Sie sich das vorstellen? Ein Leben lang über einem Schachbrett zu brüten. So enden sie ja dann auch. Geistesgestört wie dieser Bobby Fischer.«
    »Ja, genau.«
    »Nehmen Sie die untere Straße. Wir haben Zeit.«
    Das Knirschen des Kieses unter den Reifen verstummt, als der Jaguar durch das Eisentor fährt und langsam zwischen Olivenbäumen, Mastixsträuchern und Feigenbäumen über die asphaltierte Straße rollt. Max schaltet sanft herunter, als er in eine enge Kurve fährt, hinter der still und leuchtend das Meer liegt; im Gegenlicht wirken die Silhouetten der Pinien, als betrachtete man sie durch mattes Glas, ebenso wie die den Berghang hinauf gebauten Häuser und der Vesuv auf der anderen Seite der Bucht. Für einen Augenblick vergisst Max seinen Passagier, streichelt das Lenkrad und konzentriert sich ganz auf das Vergnügen des Fahrens, die reine, unbeschwerte Bewegung. Die Luft, die durch das Seitenfenster hereinweht, riecht nach Honig und Harz, den letzten Düften des Sommers, der sich in dieser Gegend immer sträubt, das Feld zu räumen, und sich einen sinnlosen, gutmütigen Kampf mit den Kalenderblättern liefert.
    »Herrlicher Tag, Max.«
    Blinzelnd kehrt er in die Realität zurück und schaut wieder in den Rückspiegel. Doktor Hugentobler hat die Zeitungen beiseitegelegt und eine Havanna im Mund.
    »In der Tat, Señor.«
    »Bis ich zurückkomme, wird es mit dem schönen Wetter vorbei sein, fürchte ich.«
    »Hoffen wir, dass es sich hält. Es sind ja nur drei Wochen.«
    »Fahren Sie nicht direkt zum Hafen. Ich möchte vorher noch in die Stadt.«
    »Jawohl, Señor.«
    Er wirft einen raschen Blick auf seine
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