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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman
Autoren: Bernardo Carvalho
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Dass es ihm gelungen war, aus der Schlucht zu entkommen, machte ihm Mut, und da erst bemerkte er, dass sein rechter Ärmel blutdurchtränkt war. Die Verwundung darunter sah er sich lieber gar nicht erst an. Er band sich den Arm mit einem Taschentuch ab und schlug sich in den Wald. Zum Glück sah ihn niemand. Einen direkten Weg zu den Panzern gab es nicht. In drei Stunden wurde es dunkel. Doch vorher fand er in einer kleinen Höhle Unterschlupf. Das Glück stand ihm bei. Er richtete sich in einer Felsnische ein, wo man ihn kaum sehen würde, und wollte ein wenig schlafen, bevor er seine Flucht in der Dunkelheit fortsetzte, denn das war seine einzige Chance. Keine fünfzehn Minuten waren vergangen, da hörte er draußen Stimmen. Es waren die bojewiki , dieselben, die für den Hinterhalt verantwortlich waren. Das bedeutete, dass die Panzer zurückgewichen waren und dass es in der Schlucht keine Überlebenden gab. Die bojewiki richteten sich für die Nacht ein. Sie ließen sich am Eingang der Höhle nieder und machten ein Feuer. Da Arkadi Iwanowitsch sie die Nacht über immer wieder hörte, merkte er sich die Stimme jedes Einzelnen. Und machte es sich selbst zur Auflage, den Tod seiner Kameraden zu rächen. Von Stund an war jede Minute seines Aufenthaltes in Tschetschenien von dem Bestreben erfüllt, die Stimmen wiederzuerkennen, die ihn in einer Höhle in den Bergen in den Schlaf begleitet hatten.
    Die Tragödie ereignet sich bei der dritten Mission in den Bergen um Vedeno, die man ihm, sozusagen als Ehrung oder Auszeichnung, überträgt. Als einziger Überlebender der unseligen Operation zur Rettung von Ossipow hat es der Oberstleutnant weiß der Himmel wie geschafft, zu den Panzern zu gelangen, die ihn am nächsten Tag zwei Kilometer von dem Hinterhalt entfernt aufsammelten und nach Khankala zurückbrachten, und das allein hätte eigentlich genügt, ihn zum Helden zu machen, doch er bestand auch noch darauf, das Kommando über jeden Sondereinsatz in dieser Region zu übernehmen. Was seine Vorgesetzten nicht ahnen: Arkadi Iwanowitschs Mut ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine innere Unruhe, die sich nicht legen wird, bevor er nicht die Stimmen der bojewiki wieder gehört und jeden einzelnen der in der Schlucht Gefallenen gerächt hat. Die Soldaten wissen inzwischen, wenn sich Oberstleutnant Jakowenko auf Feindesgebiet in die Berge begibt, dann lässt er sich von dem leiten, was er seine »Gier nach Gerechtigkeit« nennt und was nichts anderes bedeutet als die Ankündigung eines baldigen Blutbads. Fest davon überzeugt, dass er die Stimmen ohne Gesicht, die er immer noch im Ohr hat, eines Tages erkennen wird, macht er alle zu Sündenböcken.
    Er kennt kein Erbarmen bei den z atchitski in den Dörfern und den Häusern der Bauern, die er persönlich befehligt, immer mit den Stimmen im Ohr und der Hoffnung, sie zu erkennen. Auf der Suche nach Terroristen, die Russen umbrachten, macht es ihm trotz seiner Devise nichts aus, Ungerechtigkeiten zu begehen oder Unschuldige zu töten. Dieses Mal jedoch werden ihm die Zügel entgleiten, falls er noch glaubt, sie in der Hand zu haben.
    Vier Jeeps fahren morgens aus Grosny hinaus. Sie fahren in Richtung der Berge im Süden. Das ist Jakowenkos Territorium. Im zweiten Jeep sitzen außer dem Oberstleutnant und seinem Fahrer die beiden Gefreiten, die ihn überallhin als Leibwächter begleiten. Sie sind offenbar die Ältesten im Konvoi. Im Jeep an der Spitze, der Vorhut, sitzen außer dem Fahrer, der zwar Tschetschene, aber absolut vertrauenswürdig ist, drei unerfahrene Soldaten. Sie wurden gezielt ausgewählt und sind so verängstigt, wie sie nur sein können. Dieser Einsatz soll sie schulen. Jakowenko umgibt sich gern mit solchen Leuten, damit er ein Massaker rechtfertigen kann, falls die Situation außer Kontrolle gerät. Im dritten Wagen ist nur für zwei Soldaten Platz, einen am Steuer und seinen Kameraden, der ihm Deckung gibt, der Rücksitz und der Kofferraum sind mit Sprengstoff beladen. Der Oberstleutnant will ein entlegenes Dorf, in das sich seiner Vermutung nach ein paar bojewiki geflüchtet haben, isolieren, indem er ihnen den einzigen Nachschubweg abschneidet. Er will die Brücke sprengen, die sich über die Schlucht zwischen dem Dorf und der Landstraße spannt. Die Rebellen können zwar weiterhin ihre Wege über die Berge benutzen, doch wird es keine Möglichkeit mehr geben, Lebensmittel und größere Lasten für die Bauern heranzuschaffen, die sie aufgenommen haben.
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