Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman
Autoren: Bernardo Carvalho
Vom Netzwerk:
Basar, allenfalls der eine oder andere hartnäckige Gast einer Kneipe mit Countrymusic genau in der Mitte der Gassen – in der unter der Woche normalerweise gähnende Leere herrscht. Der Ort ist gezielt ausgesucht. Berge von Kartons und Holzkisten türmen sich vor den geschlossenen Buden. Es sind die Reste des Tagesgeschäfts, sie warten auf die Müllabfuhr, die sie in der Nacht abholen wird. Maxim sucht jemanden. Manche Kartons vor den Buden bewegen sich, als Dimitri vorbeigeht. Dort haben sich Obdachlose schlafen gelegt. Der Mann, der seinen Sohn beschattet, macht ihnen Angst. Erschrocken starren sie ihn in der Dunkelheit an, wie wilde Tiere im Urwald. Unter einer Arkade trifft Maxim seine Kumpane. Dieses Mal sind es fünf. Dimitri schämt sich schon im voraus für die Feigheit seines Sohnes – und für seine eigene. Für seine hinterhältige Komplizenschaft. Zwei der Burschen in Lederjacken und mit kahl rasiertem Schädel waren auch bei dem nächtlichen Überfall auf den FSB-Funktionär bei der Kasaner Kathedrale dabei. Dimitri erkennt sie wieder. Die anderen sind neu. Dimitri sieht sie zum ersten Mal. Maxim zieht ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und bezahlt sie. Es ist das Geld, das er seit Monaten der Mutter klaut – und das Dimitri in den letzten Wochen ersetzt hat, damit sie nichts merkt. Maxim gibt Anweisungen, wo sie sich aufstellen sollen, die fünf verteilen sich und lassen ihn allein. Dimitri betrachtet den Sohn, den er großgezogen hat. Ein dünner, blasser und schwacher Bursche, der gleich ein Verbrechen begehen wird. Er ist nervös. Zündet sich eine Zigarette an. Er wartet, an einen Eisenpfeiler gelehnt. Schafft es aber nicht, still stehen zu bleiben. Er fürchtet sich, trotz all seiner Vorbereitungen, und man sieht es ihm an. Dimitri spürt sogar von weitem den Angstgeruch, den sein Sohn ausdünstet, und es ekelt ihn. Maxim steht keine Sekunde still. Er geht hin und her. Sieht sich ständig um und beweist eine Schwäche, die in seinem Vater Schuldgefühle und Scham zugleich auslöst. Er ist dazu verurteilt, seinen Sohn zu retten. Deshalb befindet er sich hier. Als Maxim zehn Jahre alt war, nahm er ihn im Winter zum Eisangeln mit, so wie es sein eigener Vater mit ihm gemacht hatte. Er hatte sich darauf versteift, gegen Annas Willen und obwohl sein Sohn es nicht wollte. Hatte mit Anna gestritten, bevor er das Haus verließ. Er hatte davon geträumt, seinem Sohn das Angeln beizubringen, wie sein Vater es ihm beigebracht hatte. Er wollte dem Großvater den Enkel vorführen. Doch schließlich musste er einsehen, dass Maxim nicht der Sohn war, den er sich erträumt hatte. Eine halbe Stunde lang klammerte sich der Junge weinend und steif gefroren an seine Knie und flehte den Vater an, nach Hause zu fahren, und Dimitri musste sich beschämt von seinem Vater anhören, er sei nicht in der Lage, einen Sohn zu erziehen, und über kurz oder lang werde er die Konsequenzen spüren. Maxim wirft die Kippe auf die Erde und tritt sie aus. Als er wieder aufblickt, spürt er, dass jemand hinter ihm steht, und dreht sich erschrocken um.
    »Wo ist sie?«, fragt der Kaukasier, obwohl er, da er ihn sieht, die Antwort schon kennt.
    »Wieso hast du geglaubt, sie würde kommen?«
    Seine Verärgerung, mehr noch als seine Naivität, hindert Ruslan daran, die Falle zu wittern. Er geht auf Maxim zu, und dieser versucht vergeblich, ihm auszuweichen.
    »Ich frage noch einmal: Wo ist sie?«, sagt Ruslan und packt seinen Bruder am Kragen.
    Noch bevor Maxim antworten kann, weicht die Angst in seiner Miene einem beschämten Ausdruck, und Ruslan wird klar, dass sie nicht mehr allein sind. Er sieht sich um und lässt seinen Bruder los. Er ist von fünf mit Eisenstangen bewaffneten Burschen umringt.
    »Jetzt wird ein anderer Ton angeschlagen. Du wirst für deine Arroganz und deine Dummheit büßen. Wie kannst du nur glauben, sie würde an so einen Ort kommen und dich um diese Uhrzeit treffen wollen? Wofür hältst du sie eigentlich? Glaubst du, sie ist wie die Frauen in deiner Heimat? Glaubst du, meine Mutter ist eine Hure? Du hast meine Mutter beleidigt, und das wirst du büßen. Dafür musst du büßen. Wie konntest du dir in deinem dreckigen Schädel einbilden, sie könnte ein Schwein wie dich lieben? Hast du dich noch nie im Spiegel gesehen, du verdammter, dreckiger Schwarz-Arsch? Was willst du eigentlich in Russland? Hier gehörst du nicht her.«
    Während er spricht, zieht Maxim sich zurück, raus aus der Umzingelung durch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher