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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Sebastian Glubrecht
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kann doch nichts gegen Familien schreiben. Das ist schlimmer, als den Sommer nicht zu mögen oder grundsätzlich keinen Alkohol zu trinken. So etwas macht man nicht.«
    Schade grinst. »Doch. Sie machen das. Für die Nachtlebenkolumne.«
    »Ich kriege Landgrafs Job?«
    Schade nickt. »Und zwar unbefristet. Sie haben mein Wort. Die neue Halbtagsstelle Ihrer Kollegin dagegen wird nächstes Jahr wahrscheinlich betriebsbedingt gekürzt. Das bleibt aber bitte unter uns.«
    Als Journalist muss man ja immer flexibel sein – auch moralisch. Eigentlich klingt es zu schön, um wahr zu sein. Ich darf offen über die nervigen Familien lästern und kriege dafür meinen Traumjob. Warum eigentlich nicht?
    »Aber wenn wir die Pressereise wahrnehmen, wissen die doch, dass wir Journalisten sind, oder?«
    »Sie nehmen gar nicht offiziell an der Pressereise teil. Frau Schnittchenmacher bucht Ihnen ein Zimmer auf Redaktionskosten – inkognito. Sonst noch Fragen?«
    Allerdings: Wie soll ich denn zwei Wochen mit unserer Frauenbeauftragten in einem Zimmer überleben? Wie kann ich mir auf so engem Raum ihr Kind vom Leib halten? Wo soll ich schlafen? Doch bevor ich etwas erwidern kann, klopft es erneut. Das Dekolleté verlangt jetzt dringend nach Herrn Schade. Der mustert mich.
    »Hartmann, Sie sind mein bestes Pferd im Stall, ein wilder Hengst. Sie können es hier weit bringen. Nach so einer Titelgeschichte kann ich Sie ohne Probleme zum Kolumnisten machen. Vielleicht stehen Sie irgendwann sogar einmal an meiner Stelle. Lassen Sie mich jetzt nicht hängen.«
    Nie hätte ich gedacht, dass der erste Mensch, der mich einen wilden Hengst nennt, mein Chef sein wird. Er streckt die Hand aus und lacht kernig.
    Ich ergreife sie und verkaufe ihm mit einem verlegenen Wiehern meine Pferdeseele.

Lass alle Hoffnung fahren – oder fahre selbst
    Annes Adresse, Wuermelingweg 11 b, liest sich, als wäre sie nach einer Kindergartengruppe benannt. Ist sie aber nicht. Franz-Josef Wuermeling war der erste Familienminister der Bundesrepublik: 1953 bis 1962. Stand auf dem Straßenschild. In dieser Familiensiedlung beginnt Bildung eben im Vorübergehen – Kinder achten ja noch auf Straßenschilder.
    Hier sieht ein Reihenhaus aus wie das andere: klein, wenig Abstand zum Nachbarn, rotes Spitzdach, winziger Garten mit Hochbeet und Schaukel. Wie in einem Psychothriller.
    Ein vorbeilaufender Junge bleibt stehen und starrt mich mit unbewegter Miene an. Er sieht aus wie dieser kleine Antichrist aus dem Horrorfilm »Das Omen«. Wahrscheinlich werde ich gleich von einer umstürzenden Schaukel erschlagen.
    Reinkommen soll ich nicht, darauf hat Anne bestanden. Erstens sei das »nicht notwendig«, und zweitens gehe mich ihr Privatleben nichts an. Das kann ja heiter werden.
    Der Junge ist verschwunden. Dafür werfen mir jetzt zwei Mütter, die ihre Kinderwagen nebeneinander auf dem schmalen Bürgersteig herummanövrieren, misstrauische Blicke zu. Liegt wahrscheinlich an meinem Wagen: ein schwarzer 68er Ford Mustang GT 390. Richtig, der von Steve McQueen. Das ist meine Liebe – also der Wagen, nicht der Schauspieler. Amerikanische Autos sind breiter, da legt man noch Wert darauf, dass jeder Platz für sich hat. Nicht wie in dieser Reihenhaussiedlung oder in dem Hotelzimmer, in das wir gleich fahren müssen.
    Die Mütter schütteln echauffiert ihre Kurzhaarfrisuren und starren mich so feindselig an, als gehörte ich zu einer Rockergang, die in ihr Viertel eingedrungen ist. Jetzt kommen sie auf mich zu und bedeuten mir, das Fenster herunterzukurbeln.
    »Wohnen Sie hier?«, fragt mich die eine, Typ alterndes Modell für Hautstraffungsprodukte. Eine Frau wie ein Lederhandschuh.
    »Nein, zum Glück nicht.«
    »Warum beobachten Sie dann vormittags unter der Woche die Häuser?«
    Die andere Mutter, ihre Flankendeckung, nickt bestätigend. Sie scannt mein Gesicht, wahrscheinlich, um hinterher ein Fahndungsbild aus ihrer Erinnerung zu zeichnen.
    Ich schaue sie höflich an. »Und warum gehen Sie nicht arbeiten? Vormittags unter der Woche?«
    Die Mütter schauen empört, als hätte ich ihren Kindern eine vererbte Lernschwäche attestiert. Die Erste zeigt mir den Vogel, daraufhin klappe ich den Stinkefinger aus.
    Die Mutigere von beiden mustert mich kopfschüttelnd.
    »Sie sind ein Mann, der in den letzten Jahren nichts dazugelernt hat.«
    »Ich pflege eben die Traditionen«, entgegne ich und kurbele das Fenster wieder hoch.
    Die beiden drehen auf ihren absatzlosen Schuhen um
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