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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Sebastian Glubrecht
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erregen.
    Alle Augen richten sich auf den Chef. Der erwidert jeden Blick so eindringlich, als würde er abwägen, wie viel Abfindung er dem betreffenden Kollegen im Fall einer Kündigung im Affekt zahlen müsste. Dann öffnet er den Umschlag und nimmt eine Karte heraus. Sein Mund verzieht sich zu einem fiesen Grinsen. Sieht aus, als wäre ihm gerade der Coup des Jahrtausends eingefallen.
    »Jede Frau will doch mal einen wilden Mann zähmen«, sagt er nachdenklich. »Wo geht das besser als in einem Familienhotel?« Er sieht sich um. »Wer ist denn bei uns der wilde Mann?«
    Oje. Schnell schaue ich so unauffällig wie möglich zur Seite. Mir ist nie aufgefallen, was für eine schöne weiße Wand da steht. Sicherheitshalber tue ich so, als würde ich ganz unten in meiner Tasche etwas suchen. Trotzdem spüre ich, wie sich ein Kopf nach dem anderen in meine Richtung dreht. Ich wage es nicht aufzublicken.
    Brauche ich auch nicht.
    Schades Stimme klingt, als wollte sie mich ärgern. »Kollege Hartmann, wäre das nicht etwas für Sie?«
    Genau wie meine Kollegen sehe ich ihn entsetzt an. Wie kommt er denn auf so eine abwegige Idee? Offenbar hat mein Chef auch leichtes Fieber.
    »Bitte nein!«, rufe ich instinktiv. »Auf keinen Fall!«
    Annes Mund klappt vor Staunen auf und fängt bei der Gelegenheit sofort an zu reden. »Das ist doch völlig absurd! Sie wollen den einzigen Mann, der hier nichts, aber auch gar nichts mit Familie am Hut hat, in ein Familienhotel schicken? Was soll er denn da?«
    »Genau«, ergänze ich. »Was soll ich denn da?«
    Zum ersten Mal, seit Anne aus der Elternzeit zurückgekehrt ist, sind wir einer Meinung.
    Aber Schade lässt sich nicht beirren. »Caspar braucht Frau und Kind zur Tarnung. Wer hat Lust?«
    Erneute Stille.
    Nadine rutscht hoch motiviert auf ihrem Stuhl nach vorn. Sie hat zwar kein Kind, aber in ihrem Blick liegt die Aussicht auf die Chance, demnächst eines gemacht zu bekommen.
    Wenn die wüsste! Ich kann keine Kinder zeugen. Wollte als Junge mal über einen Jägerzaun grätschen. Hat nicht geklappt. Vielleicht habe ich deshalb keine Lust auf Familie – wie gesagt, alles biologisch bedingt.
    Schade sieht Nadine an und schüttelt den Kopf. Sein Blick wandert weiter zu Anne.
    »Das wäre doch etwas für Sie ?«
    Unsere Frauenbeauftragte läuft vor Wut rot an. »Ha!«, ruft sie und zerbricht den billigen »Münchner«-Kugelschreiber in ihren Händen. »Ich will Caspar nicht von Dingen überzeugen, von denen er nichts versteht. Er ist kein Familienvater und wird auch nie einer werden. Außerdem heirate ich in drei Wochen meinen Verlobten!«
    Ein Raunen geht durch die Kollegen, vor allem bei den Leuten, die nicht eingeladen sind.
    Herr Schade hält Annes Blick. »Ist es immer noch wegen der Weihnachtsfeier?«
    Anne nimmt Nadine blitzschnell deren Kugelschreiber aus der Hand und zerbricht ihn ebenfalls. Auf dem Tisch liegt nun ein kleiner Trümmerhaufen. Ein gutes Bild für unser Verhältnis seit jener Feier.
    Sie fand im »Grande Principe« statt, einem dieser sündhaft teuren Lokale, die es cool finden, eine einzige enge Toilette für Männer und Frauen zu haben. Wir waren betrunken, hatten uns mal wieder gestritten, Anne stand vor dem Spiegel und machte sich frisch. Ich kam herein, streckte meine Hand an ihr vorbei zum Seifenspender. Ihre Hand war auch da. Wir sind dann irgendwie ineinandergerutscht. Erst die Hände, dann die Lippen und schließlich der Rest. Entscheidende drei Minuten später betrat Kollege Landgraf die Toilette. Von solchen Momenten träumen Klatschreporter ihr ganzes Leben lang. Am nächsten Tag waren wir die Breaking News des Flurfunks.
    Anne und ich haben nie wieder darüber gesprochen. Was auf der Weihnachtsfeier passiert, bleibt auf der Weihnachtsfeier. Allerdings ist unsere Beziehung seit jenem Abend schlechter als die zwischen Israel und Palästina. Anne hat dann schnell einen Mann mit Haus kennengelernt, ihre Leonie bekommen und ist in Elternzeit verschwunden.
    Seit ein paar Monaten arbeitet sie wieder, aber wir verstehen uns noch weniger als vorher. Über die Sache ist kein Gras gewachsen, weil das Fundament eine faulende, schwelende und vor allem ungeklärte Klärgrube ist.
    »Caspar fährt mit Anne ins Familienhotel«, bestimmt Schade. »Sie soll ihm zeigen, wie erfüllend und wunderschön das Leben in geordneten Bahnen sein kann.«
    Erfüllend und wunderschön? Mein Chef hat doch am eigenen Körper erfahren müssen, wie schrecklich es dort ist.
    Auch Anne
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