Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Sebastian Glubrecht
Vom Netzwerk:
und kehren zurück zu ihren Kinderwagen.
    Dumme Menschen gibt es wirklich überall. Die Leute petzen, lügen und stehlen. Probleme im Nahen Osten, in Palästina, Syrien, Afghanistan, dazu Tsunamis, Tornados und Kernkraftwerke. Wie kann man in so eine Welt nur Kinder setzen? Verstehe ich nicht.
    Das Archiv hat mir Rechercheunterlagen geschickt: In den vergangenen zwei Jahren kam es in der Saunalandschaft des »Wilden Mannle« zu einigen Todesfällen betagter Wirtschaftsgrößen. Gerüchten zufolge hat dabei Viagra eine tragende Rolle gespielt. Der alte Direktor dankte ab, die Hotelkette »Relaxation de luxe« setzte eine neue Leitung ein.
    Die neue Chefin, Frau Sommer, baute alles um: Whirlpools zu Kinderbecken, die Saunalandschaft zum Familienspa, aus Zweibettzimmern wurden Dreibettzimmer. Silbergabeln und scharfe Messer tauschte sie gegen stumpfes Kinderbesteck mit Teddybären. Die weißen Leinentischtücher ersetzte sie durch abwaschbare Wachsdecken, für den Fall, dass sich ein dickes Kind nach dem dritten Schlumpfeis übergibt. Statt intimer Zweisamkeit schuf die neue Direktorin ein Familienprogramm, auf das die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender neidisch gewesen wären.
    Alles schön und gut, die Frage ist nur: Werden uns die Leute die Familienfassade abkaufen? Dass meine Kollegin und ich eher zänkisch als verliebt daherkommen, ist nicht das Problem – die meisten jungen Paare mit Kind erscheinen mir auch nicht gerade harmonisch. Aber ich zweifle stark an Leonies schauspielerischen Qualitäten.
    Ein gellender Schrei aus der Nummer 11 b reißt mich aus den Gedanken. Klingt, als würde ein Kleinkind gekreuzigt. Kinder schreien schon mal laut, aber doch nicht so! Jetzt höre ich auch Annes kreischende Stimme. Was, wenn da ein Psychopath eingedrungen ist? Dann hat hinterher wieder niemand etwas bemerkt.
    Ich springe aus dem Auto und über den viel zu niedrigen Gartenzaun. Noch zehn Meter bis zur Haustür. Soll ich sie eintreten? Egal, ist nur eine Tür. Neun Schritte, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, Fuß hoch.
    In diesem Moment öffnet jemand von innen, einen Spalt breit, so, als würde er mit letzter Kraft die Klinke herunterdrücken. Ein Stöhnen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Mit Schwung reiße ich die Tür auf und remple Anne um.
    Jede Menge Sachen poltern zu Boden: eine große Reisetasche, ein aufgeblasenes buntes Planschbecken, ein Spielzeugbagger, ein grünes Töpfchen, eine dunkelhäutige Puppe, unzählige Bilderbücher mit dicken Pappseiten, von denen mich debile Tiergesichter höhnisch angrinsen. Annes Augen sind gerötet, ihre Wangen auch.
    »Entschuldigung«, sage ich.
    »Du solltest draußen warten!«, herrscht sie mich an. Doch bevor sie weiterschimpfen kann, unterbricht sie ein neuer Schrei aus einem der hinteren Zimmer. Sie rappelt sich auf, tritt dabei auf ein Spielzeugauto, das durch den Druck nach vorn fährt, rutscht erneut weg und fällt wieder hin – wie in einer Slapstickkomödie.
    Ich ziehe die Augenbrauen hoch und deute in die Richtung, in der ich Leonie vermute. Jetzt ganz ruhig. Bloß nichts Blödes sagen. In den vergangenen Tagen habe ich viel über Eltern, Kinder und Kinderkrankheiten gelesen. Muss nur das passende Thema finden.
    »Klemmt die Spreizhose?«
    Anne schaut mich entgeistert an. »So etwas kriegen nur Säuglinge mit angeborener Hüftgelenksdysplasie. Leonie ist zweieinhalb Jahre alt und völlig gesund. Sie schreit einfach gern.« Offenbar kommt die Kleine ganz nach der Mutter.
    »Warum kümmert sich dein Verlobter nicht um sie?«
    »Das geht dich erstens nichts an, und zweitens muss er arbeiten. Drittens wollte er ja zu Hause bleiben, um zu sehen, mit wem ich da zwei Wochen lang ins Hotel fahre. Aber ich wollte nicht, dass er dich trifft. Er ist ein bisschen …« Sie druckst herum.
    »Krumm gewachsen?«, vermute ich.
    »Eifersüchtig – unbegründet natürlich. Aufbrausend. Er liebt den Wettkampf. Wenn es nach ihm ginge, würde er alle Männer in meinem Umfeld fertigmachen.« Sie weicht meinem Blick aus. Für eine Journalistin ist Anne echt eine schlechte Lügnerin. Die Frauenbeauftragte will den Macho heiraten? Von wegen. Ich glaube eher, der Kerl hat Haare auf der Nase und einen Buckel.
    Meine Hand greift nach der größten Tasche. »Gib mal her!«
    Doch Anne klammert sich an den Henkel, als wollte ich ihr die Beute eines Bankraubs entreißen. »Ich bin durchaus in der Lage, meine Sachen selbst zu tragen. Außerdem jammerst du doch immer über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher