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Drei Wünsche

Drei Wünsche

Titel: Drei Wünsche
Autoren: Petra Oelker , Andrea Offermann
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Göttingen und schon in der Stadt, Gepäck, Hausrat und etliche Bücherkisten wurden heute erwartet. Noch so ein seltsamer Mensch, der kurz vorm Christfest von einer Stadt in die andere zog. In die Fremde.
    Einerlei, sie hatte sich nur noch um sich selbst zu kümmern, eigentlich hätte sie in die Kutsche steigen müssen. Oder nicht?
    Theda verharrte einen Moment und ließ die Menschen vorüberziehen, die schlendernden Damen, die eiligen Kontorboten und Köchinnen, die Herren auf ihrem Weg zum Kaffeehaus, zum Commerzium oder zu ihren Speichern, auch die Bettler.
    Sie ging weiter, eilig, als laufe sie vor ihren eigenen Gedanken und Wünschen davon, denn sie war ja eine vernünftige Person.
    Sie hatte auf das «oder nicht» gehört. Sie war nicht eingestiegen. Sie hatte es gewagt. Diese wenigen Tage gehörten ihr. Ihr allein, niemandem sonst. Erst danach würde es unwiderruflich Zeit sein, in die Postkutsche zu steigen und durch das winteröde kalte Land weit und immer weiter nach Westen zu fahren. Das Land dort war schön, sie hatte es immer geliebt, den hohen Himmel, die mit dem Wind rasch ziehenden Wolkenschiffe, den ganz eigenen Zauber der Moore im Sommer, sogar die Nebel und die schaurigen Rufe der Krähen im Herbst. Aber das Leben, das sie dort erwartete?
    Kein Grund zu jammern. Es war, wie es war. Andere Frauen landeten in der Gosse, auf sie wartete – nun, immerhin ein schützendes Dach. Eine Aufgabe. Sie hatte andere Wege und Aufgaben gesucht und keine gefunden, jedenfalls keine auch nur halbwegs ehrbaren. Da blieb nichts, als aufzugeben und zurückzukehren.
    Aufgeben. Zurück. Sie hasste diese Worte.
    Ein drittes fiel ihr ein: Galgenfrist. Ein furchtbares Wort, heute jedoch stand es für einige Tage in Freiheit und für die Hoffnung auf einen Ausweg. Leider glaubte Theda nicht an Wunder. Andererseits – waren die Tage um Weihnachten nicht die Zeit der Wunder? Sie brauchte nur ein ganz kleines, ein sozusagen alltägliches Wunder.
    Begänne jetzt irgendwo eine Glocke zu läuten, gar das Glockenspiel von St. Petri, das liebte sie besonders, dann …
    «Aus dem Weg, blödes Weib», brüllte da eine alles andere als glockenhelle Stimme, «verdammt, pass doch auf!»
    Erschreckt stolperte Theda einen Schritt zurück, und schon zog ein unwirsch schnaubendes Maultier keine drei Handbreit vor ihrer Nase einen mit Kisten, Körben, prallgefüllten Säcken und allerlei kleinem Mobiliar beladenen Karren vorbei. Obenauf thronte ein dicker, grimmig auf sie herabblickender Mann, die Zügel fest im Griff. Hinten auf dem gefährlich schaukelnden Gefährt hockte ein Mädchen, um die Schultern einen wollenen Umhang, das dunkelbraune Haar mit einer Fülle winziger Blüten und Kügelchen aus Flitter und bunten Stoffresten geschmückt. Die Arme fest um einen Korb auf ihrem Schoß geschlungen, richtete auch sie ihren Blick wachsam, neugierig gar, auf die dumme Person, die sich auf der belebten Straße benahm, als wandere sie mit all ihrem Gepäck in einem idyllischen Garten herum.
    Thedas Herzschlag machte einen stolpernden Satz, und endlich nahm sie die Straße wieder wahr. Sie sah die Fuhrwerke und Karren, Lasten schleppende Männer und Frauen, Kinder auch, es herrschte dichtes Gedränge, dichter als sonst. Alle schienen in dieselbe Richtung unterwegs zu sein, nach Osten, und plötzlich begriff sie. Alle wollten zur Brücke über das Reichenstraßenfleet und weiter über den Fischmarkt zur alten Domkirche. Dort hatte gestern der Weihnachtsmarkt begonnen, etliche der Händler boten erst von heute an ihre Waren feil. Zöge sie als eine der Möwen ihre Kreise hoch über den Dächern und Türmen, den Straßen und Fleeten, könnte sie sehen, wie aus allen Teilen der Stadt Wagen und bepackte Menschen kamen, Handwerker, Händler, Zuckerbäcker oder Suppenköche, die Punschwirte nicht zu vergessen.
    Noch sieben Tage bis zum Heiligen Abend, bis dahin wurde die Domkirche zum Jahrmarkt, zum Kaufhaus, zur Stätte von Lärm und Trubel. Vor sehr langer Zeit war sie das Herz der Stadt gewesen, jetzt eine von den Bürgern ungeliebte hannöversche Enklave ohne Gemeinde, nur in den letzten Tagen der Adventszeit drängten sich unter dem hohen Gewölbe wieder Jung und Alt, Arm und Reich. In ihren beiden gemeinsamen Jahren war Theda mit Friedrich dort gewesen. Später hatte sie Madam Zoller begleitet und vor allem achtgeben müssen, dass die sich weder vom herzerweichenden Jammer der Bettelkinder noch von den geschickten Fingern der Taschendiebe
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