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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Ahnung, was für Pläne er hatte. Aber worauf wollen Sie hinaus?
    F: Herr Battin. Ich suche ein Motiv. Sehen Sie, ich bin ein einfacher Polizist und soll mir einen Reim auf diesen Vorfall machen. Sie sagten vorhin, Herr Alsina sei wahrscheinlich verrückt. Das ist gut möglich. Aber selbst Verrückte handeln nicht ohne Motive, auch wenn sie sich diese nur einbilden. Es gibt schlechterdings keine Handlung ohne ein Motiv. Im schlimmsten Fall ist das Motiv spontan, existiert nur im Kopf des Täters, fällt sozusagen direkt mit der Handlung zusammen und verschwindet mit ihr sogleich wieder. Das typische Verhalten von Menschen, die wir als verrückt bezeichnen. Aber Herr Alsina handelte ja gar nicht spontan. Ihre Entführung war offenbar sorgfältig geplant.
    A: Ach ja?
    F: Sicher. Am Tag nach dem Abendessen bei Ihnen buchte Herr Alsina seinen Rückflug nach Buenos Aires auf den darauf folgenden Mittwoch, den 24. November, um. Als Ihre Tochter am 23. November, also an jenem Dienstagmorgen, nach Braunschweig fuhr, wusste Herr Alsina schon seit fast einer Woche, dass er bei ihrer Rückkehr am folgenden Abend bereits auf dem Heimflug wäre. Ihre Tochter erfuhr davon aber nichts, oder? Sie hatte keine Ahnung von Herrn Alsinas Plänen.
    A: Nein, hatte sie nicht. Was nur beweist, wie gestört dieser Mensch ist.
    F: Das Abendessen bei Ihnen war am Mittwoch, dem 17. November. Sie sagten, im Anschluss daran sei Herr Alsina zu einer Probe gefahren, die bis spät in die Nacht andauerte. Am nächsten Tag fanden wieder Proben statt. Ich weiß zwar nicht viel über Tänzer und Tanzaufführungen, aber solche Proben einen Tag vor der Premiere stelle ich mir recht intensiv vor. Dennoch fährt Herr Alsina am Nachmittag durch die halbe Stadt zu einem Reisebüro in Charlottenburg und nimmt persönlich diese Umbuchung vor. Warum macht er das nicht einfach per Telefon? Er spricht ja sehr gut Deutsch.
    A: Woher soll ich das wissen?
    F: Ich will es Ihnen sagen. Weil er eine Gebühr bezahlen musste. Und warum musste er eine Gebühr bezahlen? Weil die Umbuchungsfrist höchst knapp war, nur zwei Tage. Ursprünglich wäre er am Freitag, dem 26. November, zurückgeflogen. Warum wollte er plötzlich unbedingt zwei Tage früher zurück? Und sehen Sie, jetzt wird es richtig interessant. Denn was denken Sie, was wir in Herrn Alsinas Reisebüro außerdem noch herausgefunden haben?
     
    Es war erstaunlich. Obwohl er überhaupt keine Anzeige erstattet hatte, war sorgfältig ermittelt worden. Die waren recht genau über Damián Alsinas letzte Tage und Stunden in Berlin informiert. Ob sie ihn selbst genauso gründlich durchleuchtet hatten?
     
    A: Ich höre.
    F: Am 15. November hatte Herr Alsina versucht, seinen Rückflug um einige Wochen zu
verschieben
. Die Angestellte dort erinnerte sich sogar an ihn, weil sie alles versucht hatte, um die Visumfrist mit einem späteren Rückflug in Einklang zu bringen. Aber das ging nicht, weil ab Mitte November die Flüge nach Buenos Aires knapp sind. Wie gesagt, am Montag, dem 15., wollte er seinen Aufenthalt um mehrere Wochen verlängern, am Donnerstag, dem 18. November, also am Tag nach diesem Abendessen, setzte er plötzlich alles daran, ihn um zwei Tage zu verkürzen, und bezahlte sogar den hohen Betrag für eine Umbuchung in die Business-Class, weil anderweitig nichts zu bekommen war. Nehmen wir nun einmal an, Herr Alsina wusste von den Plänen Ihrer Tochter, nach Braunschweig zu fahren – und ich bin mir ziemlich sicher, dass er das wusste –, dann wird die Dringlichkeit dieser Umbuchung auf einmal verdächtig. Es war der ideale Zeitpunkt, um Sie in einen Hinterhalt zu locken. Wenn ich Ihre Tochter sprechen könnte, würde ich sie natürlich fragen, ob sie Damián gegenüber erwähnt hatte, dass sie bei dem Umzug nach Braunschweig ohne Ihr Wissen mitmachen wollte. Gründe kann man sich ja genügend vorstellen. Eine Ballett-Tänzerin soll ja wohl alles andere machen als Kisten schleppen.
    A: Sie haben eine rege Fantasie, ich muss schon sagen …
    F: Das gehört zu meinem Beruf. Der Dienstag war der einzige Abend, an dem er Sie in diese Falle locken konnte. Das Warum ist deshalb natürlich noch immer nicht beantwortet. Aber das Wie ist schon sehr viel deutlicher geworden. Aus irgendeinem Grunde hat Herr Alsina am Donnerstag, dem 18. November, beschlossen, den Vater seiner Freundin in einen Hinterhalt zu locken, auf einen Stuhl zu fesseln, kein Wort mit ihm zu sprechen, ihn hilflos und in potenzieller
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