Drei Irre Unterm Flachdach
jeschlossen, die Schweine! Wat issen hier los, von wegen blühende Landschaften! Und Ki n derjarten kostet och, wenn du überhaupt ’nen Platz kriegst.« Großmutter war über den Verlust der soz i alen Errungenschaften nicht hinwegzutrösten, und daß aus den weibl i chen Heringen der Rogen entfernt wurde, hatte sie nach fünf Jahren deu t scher Einheit auch nicht verwunden: »Dit Beste schmeißen die weg, die Pfeifen, den konnte man so jut sauer einlegen.« Zu DDR-Zeiten war sie jeden Freitag zu »Fisch« in die Schönhauser Allee gefa h ren und hatte Heringe gekauft. Die Fische wurden dort nur auf Wunsch ausgenommen. Großmutter kaufte »voll« und ließ sich die dicksten rau s suchen, das waren die wei b lichen mit dem Rogen. Auch ich trauerte dem Heringsrogen nach und unserer schönen Kultu r politik. Nach dem Sonntag s krimi, den wir meistens schlecht fanden -»Issen das für ne Westkacke, gar kein Spannungsbogen und nüscht« –, fuhr ich in den Prenzlauer Berg und saß auf diversen Barhockern meine linken Gedanken breit. Großvater schwebte als roter Engel mit dem »Kommunistischen Man i fest« unterm Arm im Kneipenhimmel und sah mir beim Nichtstun zu.
Da kam mir die Idee mit der PDS. Die nächste Wahlparty stand bevor – sie würde mir gehören! Angeblich feierten die da ordentlich, ganz una b hängig vom Wahlausgang. Toll! Ich würde nette Leute treffen, endlich unter Gleichgesinnten sein. Meine Lethargie hätte ein Ende, ein neues Leben würde beginnen.
Auf der Party lernte ich Wahlkampf-Florian kennen. Er guckte symp a thisch, hatte lange Haare und war, wie er sagte, schon viele Jahre bei der PDS. Man sah es ihm an. Er war blaß und dünn und hatte Ringe unter den Augen, was wohl an den harten Wahlkämpfen lag. Wir tranken zusammen viele Biere. Wah l kampf-Florian wollte Pa r teikarriere machen und gab mir Ratschläge, wie ich mich am besten einbringen könne bei der PDS. Wir trafen uns wi e der, und am Ende verabredete er für mich einen Termin beim Vorsi t zenden. Ich hatte keine Lust, klein anzufangen, und wollte gleich mit dem Richtigen sprechen. In der Handtasche einen Zettel, auf dem ich mir wichtige Fragen notiert hatte, marschierte ich voller Hoffnung ins Lie b knecht-Haus am Luxemburg-Platz. Großvater schwebte nebenan über der Volk s bühne und wedelte mit dem »Manifest«
Der Vorsitzende saß müde hinter seinem wuchtigen Schreibtisch und nahm hin und wieder einen Schluck aus einem Glas mit goldbrauner Flüssigkeit. Ich stellte meine Fragen, er an t wortete – kurz und knapp. Am Schluß wollte ich was über die B a sisarbeit in den Stadtbezirken wissen, wo man vielleicht für mich eine Aufgabe hätte. Da nahm der Vorsitzende wieder einen Schluck und lächelte groß. »Wissen Sie, mit solchen Fragen b e schäftige ich mich nicht. Wir sind als linke Partei aus dem Osten gerade dabei, wichtige internationale Kontakte aufzuba u en.« Anscheinend hatte ich die falsche Frage gestellt. Do swidanija, Mister Vo r sitzender, dachte ich und sagte: »Vielen Dank für das G e spräch, schönen Tag dann noch.« Ich schüttelte die große Hand, deren Druck wenig Festigkeit verriet, und zerknüllte im Gehen das Blatt mit den Fragen in meiner Handtasche. Depr i miert schlich ich durch die Gänge des Liebknecht-Hauses, zurück in den sonnigen Nachmittag. Großvater schwebte nicht mehr über der Volksbühne, die Helligkeit war unerträglich. Ich hatte mich gerade total läche r lich gemacht. Vor lauter Kummer stolperte ich direkt in die nächste Kneipe. Nach dem zweiten Bier ging es mir besser. Ich zahlte und schlenderte ziellos durch die Gegend, bis ich mir in einem Schmuckladen für mein letztes Geld – es waren sechsundfünfzig D-Mark, die noch zehn Tage reichen mußten – einen Ring mit nachtblauem Stein kaufte. Er sollte das Ende meiner Liaison mit der PDS besiegeln.
Dann wurde ich Kab a rettistin.
2001, Potsdamer Platz. Ich habe einen Auftritt im De- bis-Haus. Das D e bis-Haus, protziges Herz des Kapitals, reizt mich. Bei der Tonprobe höre ich mich plötzlich M a jakowskis »Linken Marsch« ins Mikrofon singen: »Pflanzt eure roten Banner der Arbeit, auf jeden Acker, auf jede Fabrik, dann steigt aus den Trümmern der alten Gesellschaft die sozi a listische Weltrepublik!« Tickte ich noch richtig? Da war es wieder: »Wegen Ernst Busch und Spanien!« Großvater und seine Ba s kenmütze, die er liebte, weil Ernst Busch auch so eine getragen hatte. Großvater, der nicht im Span i enkrieg gewesen
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