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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens
Autoren: Stefan Zweig
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knurrend und murrend daran, dem abgestorbenen siebzigjährigen Casaneus-Casanova sein eigenes Leben zu erzählen.
    Er erzählt sich sein Leben – dies seine ganze literarische Leistung –, aber freilich, welch ein Leben! Fünf Romane, zwanzig Komödien, ein Schock Novellen und Episoden, eine traubige, überreife Fülle scharmantester Situationen und Anekdoten, eingekeltert in eine einzige strömende und überströmende Existenz: hier erscheint eben ein Leben, selbst schon füllig und rund als vollendetes Kunstwerk ohne ordnende Beihilfe des Künstlers und Erfinders. Und so löst sich auf überzeugendste Weise jenes erst verwirrende Geheimnis seines Ruhmes – denn nicht, wie er sein Leben beschreibt und berichtet, zeigt Casanova als Genie, sondern wie er es gelebt. Was ein anderer erfinden muß, hat er atmend erfahren, was ein anderer mit dem Geist, hat er mit seinem warmen wollüstigen Leib gestaltet, darum brauchen hier Feder und Phantasie die Wirklichkeit nachträglich nicht zeichnerisch auszuschmücken: genug daß sie Pausblatt sind einer schon dramatisch durchgeformten Existenz. Kein Dichter seiner Zeit hat dermaßen viel erfunden an Variationen und Situationen, wie Casanova erlebte, und schon gar kein wirklicher Lebenslauf schwingt in so kühnen Kurven durch ein ganzes Jahrhundert hin. Versucht man, an reinem Geschehnisgehalt(nicht an geistiger Substanz und Erkenntnistiefe) etwa die Biographien Goethes, Jean-Jacques Rousseaus und anderer Zeitgenossen mit der seinen zu vergleichen, wie arm an Abwechslung, wie eng im Raum, wie provinziell in der geselligen Sphäre erscheinen jene zielhaften und von schöpferischem Willen beherrschten Lebensläufe gegen diesen einen stromhaften und elementaren des Abenteurers, der Länder, Städte und Stände, Berufe, Welten und Weiber wechselt wie Wäsche an immer gleichem Leib – Dilettanten sie alle im Genießen wie jener Dilettant in der Gestaltung. Denn dies ist ja die ewige Tragik des Geistmenschen, daß gerade er, berufen und sehnsüchtig, alle Weite und Wollust des Daseins zu kennen, doch gebunden bleibt an seine Aufgabe, Sklave seiner Werkstatt, unfrei durch selbst auferlegte Pflichten, gefesselt an Ordnung und Erde. Jeder wahrhafte Künstler lebt die größere Hälfte seines Daseins in Einsamkeit und Zwiekampf mit seiner Schöpfung – voll hingegeben an die unmittelbare Wirklichkeit, frei und verschwenderisch vermag nur der Unschöpferische, der reine Genießer zu sein, der das Leben lebt um des Lebens willen. Wer sich Ziele setzt, geht am Zufall vorbei: jeder Künstler gestaltet zumeist immer nur, was er versäumte zu erleben.
    Den lockern Genießern aber, ihren Gegenspielern, ihnen mangelt fast immer die Macht, das vielfältig Erlebte auszuformen. Sie verlieren sich an den Augenblick, und damit geht dieser Augenblick allen andern verloren, indes der Künstler auch das geringste Erleben zu verewigen weiß. So klaffen die Enden auseinander, statt sich fruchtbar zu ergänzen: dem einen fehlt der Wein, dem andern der Becher. Unlösbare Paradoxie: die Tatmenschen und Genießer hätten mehr Erlebnis zu melden als alle Dichter, aber sie vermögen es nicht – die Schöpferischen wiederum müssen dichten, weil sie selten genug Geschehnis erlebten, um es zu berichten. Nur selten haben Dichter eine Biographie und selten wiederum die Menschen der wahrhaften Biographien die Fähigkeit, sie zu schreiben.
    Da ereignet sich nun jener herrliche und beinahe einzige Glücksfall Casanova: endlich erzählt einmal ein passionierter Genußmensch, der typische Augenblicksvielfraß, sein ungeheures Leben, erzählt es ohne moralische Beschönigung, ohne poetisierende Versüßlichung, ohne philosophische Verbrämung,sondern ganz sachlich, ganz wie es war, leidenschaftlich, gefährlich, verlumpt, rücksichtslos, amüsant, gemein, unanständig, frech, ludrig, immer aber spannungsvoll und unvermutet – und erzählt überdies nicht aus literarischem Ehrgeiz oder dogmatischer Prahlerei oder bußfertiger Reue oder exhibitionistisch gereizter Bekenntniswut, sondern ganz unbelastet und unbekümmert, wie ein Veteran am Wirtshaustisch mit der Pfeife im Mund ein paar knusperige und vielleicht brenzlige Abenteuer vorurteilslosen Zuhörern zum besten gibt. Hier dichtet nicht ein mühseliger Phantast und Erfinder, sondern aller Dichter Meister, das Leben selbst, er aber, Casanova, hat nur der bescheidensten Anforderung des Künstlers zu genügen: das kaum Glaubwürdige glaubhaft zu machen. Dazu langt
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