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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens
Autoren: Stefan Zweig
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statt Fabelwelten schildert die Dichtung nunmehr Magie unserer Menschlichkeiten. Nicht aus dem Unbekannten ihres Erdballs kann sie mehr ihre Kräfte ziehen, denn entdeckt sind alle Tropen und antarktischen Zonen, durchforscht alle Tiere und Wunder der Fauna und Flora bis an den amethystenen Grund aller Meere. Nirgends kann sich Mythos im Irdischen mehr, es sei denn an den Gestirnen, anranken in unserem ausgemessenen, um und um mit Namen und Zahl bezeichneten Erdball – so wird sich der ewig Erkenntnis wollende Sinn mehr und mehr nach innen wenden müssen, seinem eigenen Mysterium zu. Das internum aeternum, die innere Unendlichkeit, das seelische Weltall, eröffnet der Kunst noch unerschöpfliche Sphären: die Entdeckung ihrer Seele, die Selbsterkennung, wird die künftig immer kühner gelöste und doch unlösbare Aufgabe unserer wissend gewordenen Menschheit sein.
    Salzburg, Ostern 1928

 
     
    Casanova
     
    Il me dit qu'il est un homme libre, citoyen du monde. Muralt über Casanova in einem Brief an Albrecht von Haller, 21. Juni 1760
     
    Casanova figuriert als Sonderfall, als einmaliger Glücksfall innerhalb der Weltliteratur, vor allem deshalb, weil dieser famose Scharlatan eigentlich genauso unberechtigt in das Pantheon des schöpferischen Geistes geraten ist wie Pontius ins Credo. Denn mit seinem dichterischen Adel steht's nicht minder windig als mit jenem frech aus dem Alphabet zusammengeklitterten Chevalierstitel de Seingalt: seine paar Verse, hastig zwischen Bett und Spieltisch zu Ehren eines Dämchens hinimprovisiert, muffeln nach Moschus und akademischem Leim, und wenn unser guter Giacomo gar zu philosophieren anfängt, tut man gut, sich die Kinnbacken gegen Gähnkrampf zu sperren. Nein, er gehört sowenig zum dichterischen Adel, Casanova, wie in den Gotha, auch hier
    Parasit, Eindringling ohne Rechte und Rang. Aber ebenso verwegen, wie er's zeitlebens zuwege bringt, als schäbiger Schauspielersohn, fortgejagter Priester, abgetakelter Soldat, anrüchiger Kartendreher, bei Kaisern und Königen zu verkehren und schließlich in den Armen des letzten Edelmannes, des Prinzen de Ligne, zu sterben, hat sein nachschweifender Schatten sich unter die Unsterblichen eingedrängt, obzwar kleiner Schöngeist scheinbar nur, unus ex multis, Asche im Streuwind der Zeit. Aber – kurioses Faktum! – nicht er, sondern alle seine berühmten Landsleute und sublimen Poeten Arkadiens, der »göttliche« Metastasio, der edle Parini e tutti quanti sind Bibliotheksschutt und Philologenfutter geworden, indes sein Name, in ein respektvolles Lächeln gerundet, noch heute von allen Lippen schwebt. Und aller irdischen Wahrscheinlichkeit nach wird seine erotische Ilias noch Dauer und entzündete Leser finden, wenn längst »La Gerusalemme liberata« und der »Pastor fido« als würdige historische Antiquitäten ungelesen in den Bücherschränken stauben. Mit einem Coup hat der gerissene Glücksspieler alle Dichter Italiens seit Dante und Boccaccio überspielt.
    Und noch toller: für so unendlichen Gewinst wagt Casanova gar keinen Einsatz, er hat schlankweg die Unsterblichkeit um ihren Preis geprellt. Nie erahnt dieser Spielmensch die unsagbare Verantwortung des wirklichen Künstlers. Er weiß nichts von Nächten, die durchwacht, von Tagen, die hingebracht werden müssen im dumpfen, sklavischen Feilwerk der Worte, bis endlich der Sinn rein und regenbogenhaft die Linse der Sprache durchstrahlt, nichts von dervielfältigen und doch unsichtbaren, von der unbelohnten, oft erst nach Menschenaltern erkenntlichen Werkarbeit des Dichters, nichts auch von seinem heroischen Verzicht auf Wärme und Weite des Daseins. Er, Casanova, hat, weiß Gott, das Leben sich immer nur leicht gemacht, kein Gran seiner Freude, kein Quentchen seiner Genießerei, keine Stunde seines Schlafes, keine Minute seiner Lust der strengen Göttin Unsterblichkeit geopfert: er rührt sein Lebtag keinen Finger arbeitend um den Ruhm, und doch fällt er ihm, dem Glücklichen, strömend in die Hände. Solange er noch einen Goldfuchs in der Tasche, einen Tropfen Öl in seiner Liebeslampe spürt, denkt er nicht daran, sich die Finger ernstlich mit Tinte zu beschmutzen. Erst hinausgeworfen aus allen Türen, ausgelacht von den Frauen, einsam
    , bettelhaft, impotent, erst dann flüchtet er, ein verschabter mürrischer Greis, in die Arbeit als Surrogat des Erlebens; und nur aus Nichtlust, aus Langeweile, aufgekratzt von Ärger wie ein zahnloser Köter von der Räude, macht er sich
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