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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition)
Autoren: David Vann
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trinken solle. Er hatte Durst, unglaublichen Durst. Und der Orangensaft wäre köstlich, kühl und aromatisch, mit etwas Fruchtfleisch, und er liebte das Fruchtfleisch. Aber ihm war schwindelig, sein Scheitel offen, ein Schwebezustand, den er nicht verlieren wollte. Er hatte das Gefühl, jetzt alles klarer zu sehen. Der Orangensaft könnte dem ein Ende bereiten.Zu kalt, zu viel Säure, ein Ruck, der alle Aufmerksamkeit auf den Magen richtete, und dann würde er nicht mehr frei schweben.
    Was für ein Freak, sagte Jennifer.
    Galen schloss die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Was wollte er? Er hielt den Orangensaft mit beiden Händen und führte ihn näher heran, so nah, dass er die Nase ins Glas stecken und die süße Frucht riechen konnte. Er atmete Orangensaft, ein und aus, ein und aus.
    Ich kann mir das nicht ansehen, sagte seine Mutter. Wir fahren in fünf Minuten.
    Galen gefiel der Zeitdruck nicht. Das Erlebnis veränderte sich dadurch. Ein Ende wurde nun erzwungen, und das verdarb alles. Verdammt, sagte er.
    Boah, sagte Jennifer.
    Er wollte sie nicht hier haben. Seine Tante auch nicht. Er wollte allein sein mit dem Orangensaft.
    Und dann beschloss er, es einfach zu tun. Er neigte das Glas und schmeckte den Saft, süß und bitter und überwältigend, und er behielt ihn im Mund, weigerte sich zu schlucken.
    Mjam mjam?
    Er versuchte, Jennifer zu ignorieren, versuchte, sich ganz und gar auf den süßen Saft in seinem Mund zu konzentrieren, aber es war unmöglich. Er schluckte, und was er befürchtet hatte, passierte. Er spürte den Saft den ganzen Weg hinunter in den Magen, das Gewicht seines Magens, das beißende Bedürfnis. Sein Bewusstsein in den Dreck gezogen, sein Scheitel nicht mehr offen. Ein sinkender Stein, der unten aufschlug und dort steckenblieb.
    Danke, sagte er. Danke, dass du mir das versaut hast.
    Was denn genau?, fragte seine Tante.
    Nichts, sagte er.
    Eben, sagte sie.
    Galen öffnete die Augen, leerte sein Glas und stellte es auf den Tisch.
    Herzlich willkommen, sagte seine Tante. Wir sind die Erdlinge.
    Ihr seid leere Hüllen, sagte er. Hülsen und sonst nichts. Er stand auf und ging ins Haus, musste sich am Geländer abstützen, um die Treppe hochzukommen.
    Er setzte sich auf die Bettkante und beugte sich vorsichtig vor, um seinen schweißnassen Pullover auszuziehen. Aua, sagte er. Das tut weh. Er konnte kaum atmen. Er zog die Stiefel aus, streifte seine Unterhose ab und stieg vorsichtig unter die Dusche. Duschte kalt, seiner Beine wegen, und selbst das kalte Wasser tat weh. Er tupfte sich vorsichtig mit einem Handtuch ab und cremte Beine, Gesicht und Hals mit Aloe ein. Im Spiegel leuchtete er unnatürlich. Grellpink unter der dunklen Gesichtshaut, eine Art sekundärer Schein.
    Galen, schrie seine Mutter. Wir warten.
    Ich komme, schrie er zurück. Er zog eine saubere Unterhose an, ein sauberes T-Shirt und Tennisschuhe und ging vorsichtig die Treppe hinunter.
    Verdammt noch mal, sagte seine Mutter. Zieh dir eine Hose an. Sie stand in der Diele, eine Hand am Türknauf. Tante und Cousine entspannt im Wohnzimmer.
    Meine Beine sind verbrannt.
    Natürlich sind sie verbrannt. Zieh dir eine Hose an.
    Schön, sagte er. Er ging nach oben und holte alte Badeshorts, die so klein waren, dass sie höchstens ein paar Zentimeter Bein bedeckten.
    Süß, sagte Jennifer. Ich mag den Look. Noch besser würde es aussehen, wenn du die weißen Socken hochziehst, bis zu den Knien.
    Halt den Mund, Jennifer, sagte seine Mutter.
    Ich warne dich, sagte seine Tante.
    Dann war seine Mutter draußen, und alle folgten ihr. Er setzte sich auf die Rückbank, und Jennifer rutschte neben ihn, seine Tante vorne. Als sie auf die Straße einbogen, hatte er bereits einen Steifen. Ringsum Vorstadt, Wohnsiedlungen. Ihre Plantage war meilenweit das einzig unerschlossene Gelände. Zehn Morgen Walnüsse, einige Morgen für Haus und Garten, ein paar Morgen Zufahrtsstraße. Alle anderen waren auf Grundstücke gepfercht, die höchstens einen Viertelmorgen groß waren.
    Frisch geteerte Straßen, gewunden, mit paarweise angeordneten jungen Bäumen. Bald jedoch fuhren sie durch den alten Teil, mit Häusern aus den Fünfzigern. Und der alten Einkaufsmeile.
    Bei Bel-Air gibt es leckeren Kürbiskuchen, sagte er.
    Aufhören, sagte seine Mutter.
    Sie machen dort wirklich leckeren Kuchen.
    Wir wär's, wenn du es einfach mal sein lässt, Galen, sagte seine Tante.
    Ich habe so lange keinen Kürbiskuchen mehr gegessen.
    Danach nur noch
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