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Draußen wartet die Welt

Draußen wartet die Welt

Titel: Draußen wartet die Welt
Autoren: Nancy Grossman
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einzusammeln und sie nach ihrer Größe zu sortieren, wenn sie herauskamen.
    »Nein«, sagte er. »Ich bin für heute fertig.« Er drückte einen Schalter an der Wand, woraufhin der Lärm des Motors verstummte und sich eine angenehme Stille in der Werkstatt ausbreitete. Ich setzte mich auf einen Hocker und sah ihm dabei zu, wie er seine Werkzeuge aufhängte und das Sägemehl mit einem kurzen Handbesen von der Maschine fegte. Als er fertig war, füllte ich meine Lungen mit der modrigen Luft und bereitete mich auf das vor, was ich sagen wollte.
    »Kann ich dich kurz sprechen?«
    Mein Vater nickte, lehnte sich gegen die Hobelmaschine und verschränkte die Arme über seiner breiten Brust.
    »Seit meinem Geburtstag denke ich darüber nach, was ich während meines Rumspringa machen könnte. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich irgendwo weg von zu Hause arbeiten möchte. Ich könnte vielleicht in einer englischen Familie wohnen und als Babysitter arbeiten.« Ich wartete und hielt den Atem an.
    Mein Vater nahm seinen Hut ab und fuhr sich durch sein dunkles Haar, sodass noch mehr Sägemehl in der Luft schwebte. Ich war mir nicht sicher, aber es sah ganz so aus, als müsse er sich sehr anstrengen, nicht zu lächeln.
    »Dein Geburtstag war vor drei Wochen, Eliza. Denkst du wirklich erst seit drei Wochen darüber nach?«
    Ich konnte nicht sagen, ob sein Tonfall wohlwollend oder vorwurfsvoll klang. »Nein«, erwiderte ich. »Ehrlich gesagt denke ich schon eine ganze Weile darüber nach. Ich wollte schon immer mehr von der Welt sehen und jetzt scheint mir dafür der richtige Zeitpunkt zu sein.«
    »Und hast du schon mit deiner Mutter darüber gesprochen?«, fragte er und hob eine Augenbraue.
    Ich nickte. »Sie ist nicht besonders glücklich über die Idee.«
    »Das hätte ich auch nicht angenommen«, sagte er und drehte seinen Hut in den Händen. »Deine Mutter hat eine eindeutige Meinung über Jugendliche, die von zu Hause ausziehen wollen. Es war sehr schwer für mich, sie davon zu überzeugen, James gehen zu lassen.«
    »Deshalb komme ich ja auch zu dir«, gestand ich. »Ich habe gehofft, dass du vielleicht mit ihr reden kannst, genauso, wie du es für James getan hast. Vielleicht kannst du sie ja überzeugen, mich ziehen zu lassen.«
    Mein Vater setzte seinen Hut wieder auf. »Das ist ziemlich viel verlangt, Eliza. Du weißt doch, dass deine Mutter sich nur sehr schwer umstimmen lässt, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich, und meine Hoffnung schwand. »Aber du hast sie schon einmal umgestimmt.«
    Mein Vater lachte. »Ich habe sie davon überzeugt, mich zu heiraten«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Aber das war eine Menge Arbeit.« Er lächelte mich an und ich fühlte mich wieder ein wenig hoffnungsvoller. »Ich kann dir nichts versprechen, Eliza, aber ich werde heute Abend mit ihr sprechen.«
    »Danke, Papa.« Ich schlang meine Arme um seine Schultern und spürte, wie sich ein Gefühl der Wärme in mir ausbreitete.
    Er tätschelte mir mit seinen kräftigen Händen den Rücken. »Bedank dich nicht zu früh.«
    Angesichts unserer harschen Worte zuvor fühlte ich mich beim Abendessen in der Nähe meiner Mutter unbehaglich, während ich meinem Vater gegenüber eine ungewöhnliche Vertrautheit empfand, da ich wusste, dass er sich später am Abend für mich einsetzen würde. Und jedes Mal, wenn ich James einen Blick zuwarf, spürte ich eine Verbindung zu ihm. Ich konnte förmlich fühlen, wie er mich vorwärtsdrängte. Nur meine kleine Schwester Ruthie schien mir unverändert und plapperte irgendetwas von einer langen Liste mit Rechen-und Hausaufgaben, die Miss Abigail ihr gnadenlos in der letzten Schulwoche aufgebrummt hatte. Ich dachte darüber nach, wie schwer es für Ruthie sein würde, wenn ich von zu Hause auszog, und wandte den Blick von ihr ab.
    Nach dem Abendessen stand ich neben meiner Mutter am Spülbecken in der Küche, aber unsere Bewegungen waren unbeholfen und schlecht aufeinander abgestimmt. Jedes Mal, wenn ich einen Teller fertig abgetrocknet hatte und nach dem nächsten griff, stellte ich fest, dass meine Mutter ihn immer noch schrubbte, und meine Hände erstarrten in der Luft. Als sie mir den Teller dann endlich reichte, wartete schon kurz darauf der nächste, und meine Mutter wedelte ungeduldig damit herum.
    »Du musst schneller abtrocknen«, durchbrach sie die Stille.
    »Ich weiß«, erwiderte ich. Ich hielt inne und drehte mich zu ihr um. »Und ich hoffe,
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