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Dramen

Titel: Dramen
Autoren: Frank Wedekind
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Künstler ab, und bei der Vorstellung trifft er plötzlich den einzig richtigen Ton und tritt dafür in einem ganz unglaublichen Kostüm auf! Das ist die moderne Schauspielkunst!
    Der Drache bellt und grunzt beifällig.
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Unverschämtes Benehmen! In diesem Drachen, den Sie eben töten wollten, verspotten Sie das Publikum, das da unten sitzt. Des halb zum letztenmal: Vorhang herunter!
    HERZOG.
    Das Publikum da unten ist mir größtenteils unbekannt. Wen's juckt, der kratze sich!
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Besteht das Publikum da unten vielleicht aus Paradieseskindern? Nein! Besteht das Publikum aus lauter Geistesgrößen? Nein! Der normale Staatsbürger kann nun einmal die Wahrheit nicht hören und die Nacktheit nicht sehen, ohne außer Rand und Band zu geraten, ohne gemeingefährlich zu werden. Solange ich Herzoglicher Polizeipräsident in Rotenburg bin, lasse ich solch eine rohe Verhöhnung nicht zu. Meine Aufgabe ist es, die öffentliche Meinung zu schützen. Auch in einem monarchischen Staate kann sich eine Regierung nicht gegen die öffentliche Meinung behaupten. Und glauben Sie vielleicht, ich gestatte Anspielungen wie: Wer kein süßeres Labsal kennt, als seines Herren Exkrement? Wenn jetzt der Vorhang nicht fällt, sind Sie verhaftet!
    HERZOG.
    Eine Sekunde noch. Rennen Sie denn Ihren Herren überhaupt?
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Das geht Sie gar nichts an! Meinen hohen Herren kenne ich bei stockfinsterer Nacht durch ein sieben Zoll dickes Brett hindurch. So blödsinnig wie Sie sieht er jedenfalls nicht aus!
    HERZOG.
    Vielleicht ist es aber doch nur meine Maske, die Ihnen so blödsinnig erscheint?
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Maske hin, Maske her! Machen Sie keine Fisematenten! Ich bin Herzoglich Rotenburgischer Polizeipräsident. Sie werden gleich merken, was das heißt!
    HERZOG.
    Verzeihung! Dem Gesetze habe ich mich natürlich zu fügen.
(Für sich.)
Das störende Verhängnis, das über meinen Theaterstücken schwebt!
(Er ruft in die Kulisse.)
Vorhang!
    Die Herzogin, im Gesellschaftskleid, Franziska an der Hand führend, kommt aus dem Wald.
    HERZOGIN.
    Diese Dame ist der Geist, mit dem mein Gemahl abends den Philosophenweg entlang zum heiligen Hain lustwandelt!
    Gislind tritt, in einen Mantel gehüllt, aus dem Wald.
    GISLIND
entsetzt.
    Mit dem Weib? Im heiligen Hain?
    HERZOG.
    Das ist kein Weib.
    HERZOGIN
lachend.
    Natürlich ist's keins!
(Zu Franziska.)
Sind Sie vielleicht ein Engel?
    HERZOG.
    Für mich bist du ein Genius.
    GISLIND
in Verzweiflung.
    Weib? Engel? Genius? – Dazu reicht mein Verstand nicht aus! Dazu bin ich zu dumm!
    HERZOG
springt ihr bei.
    Gislind!
    GISLIND.
    Ich bin zu armselig für dich! Gib mir den blitzenden Schmuck! Der Schmuck gehört mir! Ich will ihn tragen!
    Sie reißt dem Herzog den Dolch aus der Hand, stößt ihn sich in die Brust und sinkt zusammengekauert zu Boden.
    HERZOGIN.
    Seine erste Regierungstat!
    HERZOG.
    Niemand berühre die Waffe! – Man muß sie so ins Schloß tragen.
    POLIZEIPRÄSIDENT
zum Herzog.
    Hoheit! Nur die härteste Bestrafung gibt mir meine Menschenwürde zurück. Hoheit sehen mich in Verzweiflung darüber ersterben, daß es vor tiefster Zerknirschung nicht gelang, das Unglück rechtzeitig zu verhindern.
    GISLIND
den blutigen Dolch in der Hand, hebt langsam den Oberkörper.
    Wer bedauert mich? Gibt es ein höheres Glück – als auf offener Bühne – vor Zuschauern – nackt zu sterben?
(Sie fällt tot auf den Rücken.)
    HERZOG
vernichtet.
    Jetzt zeigt sich's, daß ich gegen Wahnsinn versichert bin.
    Veit Kunz, ohne Bart und Perücke, geleitet zwei Reitknechte herein, die eine Bahre neben der Leiche niedersetzen.
    VEIT KUNZ.
    Legt sie auf die Bahre und tragt sie ins Schloß. – Sie starb als Blutzeugin. Sie starb im Kampf um Seelenadel.
    Die Reitknechte tragen Gislind hinaus. Alle folgen der Bahre bis auf Veit Kunz und den Polizeipräsidenten.
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Das eine Blutzeugin?
    VEIT KUNZ.
    Andere werden ihr folgen.
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Auch die höchste Kunst kann die Nacktheit nicht rechtfertigen.
    VEIT KUNZ.
    Die Kunst nicht, aber die Religion. Es handelt sich nur darum, daß Nacktheit sittlich ist und nicht unsittlich.
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Von Kunst halten Sie also auch nicht viel?
    VEIT KUNZ.
    Sie ist unsere treueste Dienerin. Wann wird die Kirche endlich wieder so klug sein, die Nacktheit heilig zu sprechen?
    POLIZEIPRÄSIDENT.
    Ihnen rate ich auf jeden Fall, mit ihrem Schützling möglichst rasch aus den Grenzen unseres Herzogtums zu
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