Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dramen

Titel: Dramen
Autoren: Frank Wedekind
Vom Netzwerk:
abend wieder ein Eindruck beim Publikum:
    Laß uns hinfort in deinen Spuren schreiten!
    Solang ich beim Theater bin, habe ich nie etwas Ähnliches miterlebt!
    VEIT KUNZ.
    Mir fällt der Anfang des ersten Bildes immer am schwersten.
    BREITENBACH.
    Ich begreife. Ihre Überfahrt mit Charon, dem sie die ganze Vorgeschichte zu erzählen haben!
    VEIT KUNZ.
    Noch mehr strengt mich freilich der diplomatische Notenwechsel mit Cerberus an. Ich frage mich immer wieder, ob ich die Szene nicht im Interesse der Gesamtwirkung kürzen soll.
    BREITENBACH.
    Jedenfalls rechne ich es mir geradezu als eine Art von Lebensglück an, daß ich einmal Gelegenheit fand, an einem Ihrer Prachtwerke mitzuarbeiten.
    William Fahrstuhl, Notizbuch und Bleistift in der Sand, tritt hastig ein.
    FAHRSTUHL.
    Verzeihung, verehrter Meister! Aber ich muß zwei Fragen an Sie richten, bevor ich meine Besprechung über die heutige Aufführung an meine Zeitung abschicke. Jetzt begreife ich ja erst, warum die Geistlichkeit einen so erbitterten Kampf gegen Sie führt.
    VEIT KUNZ.
    Lassen Sie mir bitte die Geistlichkeit in Frieden! Kein Geistlicher ist je so abergläubisch wie jeder gebildete Freidenker!
    FAHRSTUHL.
    Nochmal, bitte.
(Schreibend.)
Kein Geistlicher ist je so abergläubisch wie jeder gebildete Freidenker. – Das druckt meine Zeitung, obschon es von Ihnen ist. Schlimmstenfalls schreibt sie, es sei von Nietzsche. Aber nun die Idee unseres Mysteriums. Verzeihung, verehrter Meister! Ich bin so hingerissen, daß ich von den beiden ersten Akten nicht das geringste begriffen habe.
    VEIT KUNZ.
    Schreiben Sie Ihrer Zeitung: Die Gottheit verbringt einen Abend, einen Tag und einen Morgen in der Unterwelt, um die Geisteshelden der Vergangenheit von dem ihnen drohenden Fluch des Totgeschwiegenwerdens zu befreien.
    FAHRSTUHL.
    Verzeihung! Totgeschwiegenwerden druckt meine Zeitung nicht. Dazu muß sie einerseits zuviel Rücksicht nehmen – Sie wissen ja, wie das ist! – und anderseits ist sie zu unabhängig dazu. Ließe sich nicht ein milderes Wort dafür finden?
    VEIT KUNZ.
    Da nennen Sie's den Fluch des Verkanntwerdens oder Invergessenheitgeratens.
    BREITENBACH.
    Gestatten Sie, verehrter Meister, daß ich dem Herrn William Fahrstuhl über die weiteren Hindernisse hinweghelfe.
(Zu Fahrstuhl.)
Unter den Geisteshelden der Vergangenheit, lieber Herr Fahrstuhl, befindet sich unter anderen auch Simson. Den spiele ich, wie Sie vielleicht bemerkt haben:
    Herr, gib mir nur dies eine Mal noch Kraft,
    Daß ich mit einem Schlag für meine armen
    Augen an den Philistern Rache nehme!
    Der Besieger der Hölle sucht sich nun seine Leute aus, gerät dabei in ein tief religiöses Gespräch mit Sokrates, aber Simson gegenüber, der sich mit Perseus fortgesetzt um Helena katzbalgt:
    Nicht dir allein lacht dieses Weibes Gunst!
    …
    Simson gegenüber zweifelt er noch, ob er ihn in sein himmlisches Reich mitnehmen soll. Damit schließt der zweite Akt. Der erste, wie Ihnen viel leicht noch in Erinnerung ist, fand sein Ende in der ersten Begegnung zwischen der erlösenden Gottheit und dem Beherrscher der Unterwelt.
    FAHRSTUHL.
    Danke sehr! Ich lege mir Ihre ganze Höllenfahrt bei mir zu Hause schon so zurecht, daß sie sich für meine Zeitung eignet.
    Franziska, reich geschmückt, in hellrotem Übergewand, tritt hinter dem Wandschirm vor.
    FAHRSTUHL.
    Sieh da! Helena! Ich habe noch keinen Schauspieler um seinen Beruf beneidet. Der Mann lernt auswendig und erzählt's dem Publikum weiter. Aber Schauspielerin! Die Unmenge Einladungen zum Abendessen und was damit zusammenhängt! Meinen Vater schlüg' ich tot, wenn es mir dadurch möglich würde, Schauspielerin zu werden!
    BREITENBACH.
    Der Künstler, wissen Sie, hat überhaupt keinen Beruf, wie der Arzt oder der Fabrikbesitzer. Der Künstler, Maler, Musiker, sei er, was er sei, sucht sich nur mit möglichst geringem Kostenaufwand einen möglichst ausgiebigen Lebensgenuß zu verschaffen.
    FRANZISKA.
    Immer gelingt es ja auch nicht. Ich kenne ein Mädchen, das Malerin werden wollte, aber keine Begabung dazu hatte. Darauf wollte es Bildhauerin werden, hatte aber auch dazu keine Begabung. Darauf wollte es Tänzerin werden, hatte aber auch dazu keine Begabung. Schließlich wurde es Schneiderin.
    FAHRSTUHL.
    Ist das nicht großartig, wie viele Entwicklungsmöglichkeiten einem jungen Mädchen in unserer Zeit offenstehen?!
    VEIT KUNZ.
    Vor fünfhundert Jahren hätte man sie längst als Hexe verbrannt gehabt, bevor sie bei der Schneiderin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher