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Drachentau

Drachentau

Titel: Drachentau
Autoren: Paula Roose
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kannst einem leidtun, du armer alter Bär.«
    Rosa lachte ihr helles Lachen, das Jakob so gerne hörte und alles Warten war vergessen. Sie erhoben sich gemeinsam und gingen durch die kleine, aus groben Latten gezimmerte Gartenpforte hindurch, vorbei an gelben und violetten Frühlingsblumen. Jakob drehte sich noch einmal um.
    »Ich bringe noch rasch die Hühner zu Bett«, sagte er über die Schulter und verschwand. Rosa ging in die Hütte, stellte ihren Korb auf den Küchentisch und zündete die Öllampe an. Sie tauschte ihre lila Schürze gegen eine schlichte, beige aus Leinen und wusch sich sorgfältig, jeden Finger einzeln bedenkend, die Hände. Dann löste sie ihren Zopf und bürstete langsam und ausgiebig ihr Haar, bevor sie es mit geschickten Fingern im Nacken zu einem Knoten zusammenband. Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Ihre großen Augen und die hohen Wangenknochen verliehen ihr ein kindliches Aussehen, das immer mehr den fraulichen Zügen wich. Ihre dunkle Nase zierte ihr Gesicht und wirkte wie von der Hand eines großen Künstlers hineingemalt.
    Sie strich sich noch einmal über die Haare und ging hinüber zum Herd. Die Flamme war schon bedrohlich klein geworden. Sie legte ein paar Holzscheite nach, schürte das Feuer und beobachtete gebannt, wie die größer werdende Flamme prasselnd die Holzscheite verzehrte. Wohlige Wärme breitete sich aus. Rosa schloss die Ofentür und setzte den Wasserkessel auf den Herd. Sie wischte mit ihren schlanken Händen über ihre Schürze und packte den Korb aus. Zwei Hähnchenbrüste und sechs Eier hatte sie bei Hühner-Emma erworben. Die alte Bärin hatte beim letzten Drachenangriff ihren Mann und ihre zwei Söhne verloren und konnte sich mit ihrem kleinen Laden kaum über Wasser halten.
    Rosa legte die Eier zu ihren eigenen in den Vorratsschrank und nahm Möhren und Kartoffeln heraus. Mit tänzerischem Schritt bewegte sie sich zwischen Küchentisch und Herd hin und her, während sie das Gemüse putzte, die Pfanne anheizte, die Hähnchenbrüste anbriet und die Möhren mit ihrem großen Küchenmesser blitzschnell in feine Stifte schnitt. Dabei summte sie eine leise Melodie, die sie schon von Kindheitstagen an kannte. Sie schüttete das Gemüse in die Pfanne und ließ es mit dem Fleisch, das es zischend begrüßte, braten. Ein köstlicher Duft erfüllte den Raum und ließ ihren Magen knurren. Klar, sie hatte seit dem Frühstück nichts gegessen. Rasch räumte sie die Küche auf und deckte den Tisch. Große, rote Stoffservietten steckte sie in Holzringe, die sie liebevoll mit einem blumigen Schnitzmuster verziert hatte, und legte sie neben die Teller. In die Mitte stellte sie einen schlichten, runden Kerzenständer, ebenfalls aus Holz und von Rosas geschickten Händen hergestellt.
    Sie streifte die Schürze ab und blickte aus dem Fenster. Wo Jakob wohl blieb? Kaum gedacht ging auch schon die Tür auf und ihr Großvater kam herein.
    »Wo hast du gesteckt?«, fragte Rosa. »Man könnte meinen, du hättest den Hühnern beim Brüten geholfen.«
    »Könnte man meinen«, antwortete Jakob. »Wenn unsere Lilly nicht wieder ausgebüxt wäre.«
    Jakob wusch sich die Hände und setzte sich an den Tisch. Seine Hütte war klein und gemütlich. Als die Bären das Dorf wieder aufbauten, hatten sie der Einfachheit halber alle Hütten in der gleichen Art errichtet. Vorne eine große Wohnküche mit Herd zur Rechten und Kamin zur Linken, hinten zwei Schlafstuben. Vor dem Kamin hatte Jakob zwei Ohrensessel stehen und links daneben ein kleines Sofa. Vor den Fenstern prangten Blumenkästen und rechts neben dem Kamin stand ein kleiner Tisch mit handgeschnitzten Schachfiguren.
    Großvater und Enkelin ließen es sich schmecken und plauderten über den vergangenen Tag. Jakobs Gedanken gingen oft zum Drachen. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
    »Wie geht es denn unserer guten alten Hühner-Emma? Redet sie noch immer so viel?« Jakob verzog das Gesicht, aber er meinte es nicht böse. Emma war nie über den Verlust ihres Mannes und ihrer Söhne hinweggekommen. Sie redete oft viel und unnützes Zeug. Aber niemand im Dorf mied sie deswegen. Sie war einmal eine sehr tüchtige Bärin gewesen, aber von allen glich sie am wenigsten den Menschen. Mit ihrer Kittelschürze wirkte sie etwas altbacken.
    »Du sollst sie nicht Hühner-Emma nennen. Sie ist eine arme, einsame Bärin.« Rosa drohte ihrem Großvater mit dem Zeigefinger.
    »Der Name passt doch zu ihr. Wenn sie so schnell redet, gackert
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