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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman
Autoren: Blessing <Deutschland>
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und einer kleinen, autofreien, kaum bewohnten Insel im Südchinesischen Meer geschrumpft war. Vielleicht war ein Mensch, der sich so zurückziehen musste, der in der Vergangenheit und von Erinnerungen lebte, der nichts und niemanden auf der Welt mehr liebte als einen Toten, vielleicht war so ein Mensch in größerer Not, als Paul es wahrhaben wollte.
    Liebeshungrig. Hungrig nach Liebe. Es war die Bedürftigkeit, die in dem Wort mitklang, die ihm nicht gefiel, ohne dass er genau hätte sagen können, warum. Bedürftig sind wir alle, wollte er laut einwenden, und ahnte Christines Antwort. Manche mehr, andere weniger.
    Und ich?
    Mehr. Mehrmehrmehr.
    Er sagte nichts und küsste sie auf die Stirn. Er fuhr mit seinen langen Fingern ihren Nacken entlang und massierte mit sanften rhythmischen Bewegungen ihren Kopf. Sie schloss die Augen, und er strich ihr über das Gesicht und den Mund. Er spürte, wie seine Hände die Lust in ihr weckten, hörte, wie ihr Atem schneller wurde. Nicht viel, aber genug, um ihm zu zeigen, dass es dabei nicht bleiben würde. Er küsste sie auf den Hals, und sie flüsterte, sie wolle ihn lieben. Hier, auf der Terrasse. Jetzt.
    Er hörte die Zikaden schnarren, hörte lautes Vogelgezwitscher und aus der Ferne die Stimmen der Nachbarn und wollte einwenden, dass jemand sie überraschen könnte, und
ob sie nicht lieber hinauf in sein Schlafzimmer gehen sollten. Aber die Leidenschaft, mit der sie ihn küsste und festhielt, mit der sie ihm zeigte, wie sehr sie ihn begehrte, hier, jetzt, ließ ihn schweigen.
    Sie zog einen der Gartenstühle heran, drückte seinen Körper sanft, aber bestimmt auf den Stuhl und setzte sich auf ihn.
    Sie trug einen Rock und verlor keine Zeit. Sie bestimmte den Rhythmus und liebte ihn heftiger und wilder, als er es von ihr kannte. Am Ende stieß sie einen kurzen Schrei aus, laut, aber nicht hell und erleichtert wie sonst, sondern dunkel und tief, mit Macht herausgepresst, fast verzweifelt. Als wäre es das letzte Mal.
    Sie hielten sich lange fest, klammernd, schweigend, horchend, wie sich ihr Atem allmählich beruhigte.
    Bevor sie aufstand, nahm sie seinen Kopf in ihre Hände und schaute ihm in die Augen. Ob er ahne, wie sehr sie ihn liebe? Was er ihr bedeute? Er nickte etwas überrascht und musste versprechen, das nie zu vergessen.
    Er nickte wieder, zu erschöpft, um Fragen zu stellen.
    Als er sie später zur Fähre brachte, war sie auf eine beunruhigende Weise schweigsam. Es war ein warmer, feuchter tropischer Abend, sie gingen den Hügel nach Yung Shue Wan hinunter, in den Büschen um sie herum zirpte, fiepte und zischelte es, und er wollte wissen, worüber sie nachdachte.
    Nichts Bestimmtes, behauptete sie.
    Ob alles in Ordnung sei?
    Sie überging seine Frage.
    Die letzten Meter mussten sie laufen. Christine durfte die Fähre nicht verpassen, sie hatte ihrem Sohn und ihrer Mutter versprochen, spätestens zum Abendessen zu Hause zu sein.
    Er hasste die Rennerei. Die nächste Fähre fuhr in vierzig
Minuten, und Paul empfand es als unerträgliche Zumutung, sich von einem Fahrplan zur Hast zwingen zu lassen. Es geschah ihm häufiger, dass er, spät kommend, auf dem Kai gemessenen Schrittes Richtung Anlegestelle ging, während andere Passagiere, angetrieben durch das Klingeln, welches das langsame Schließen der Tore ankündigte, ihn in einem wilden Spurt schnaufend überholten und er am Ende als Einziger das Schiff verpasste. Statt zu fluchen setzte er sich dann in aller Ruhe auf eine kleine Bank, die im Schatten der Pinien vor der Bücherhalle stand, und schaute aufs Wasser. Oder hockte sich auf einen Polder und beobachtete die Gischt unter ihm. Schon als Kind hatte er es geliebt, spritzenden Tropfen mit den Augen zu folgen, es faszinierte ihn zu sehen, wie sie sich aus dem Wasser lösten, für wenige Sekunden eine Form annahmen und durch die Luft wirbelten, um sogleich wieder für immer in der Weite des Ozeans zu verschwinden. Menschen waren wie diese kleinen Tropfen, hatte er sich damals gedacht, sie tauchten auf und verschwanden wieder in jener Unendlichkeit, aus der sie kamen. Sie hörten zu existieren auf und blieben doch Teil eines Ganzen. Irgendwie hatte dieser Gedanke für den Zehnjährigen etwas Tröstendes gehabt. Seinem Vater gefiel dieses Bild, allerdings fand er, dass Menschen endeten wie Tropfen, die auf eine heiße Platte fielen: Mit einem kurzen
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