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Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat

Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat

Titel: Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
Autoren: Licia Troisi
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vielleicht sogar ruhmreicher Zeiten als Baumaterial genutzt wurden. Doch dann hatte sie sich gesagt, dass hier das Leben über den Tod triumphierte, und was nur Ruine gewesen war, also totes Gestein, erwachte und fand plötzlich wieder neue Verwendung. Wenn man es sich genauer überlegte, hatte das etwas Tröstliches. Auch wenn die eigentliche Aufgabe erfüllt war, konnte man noch auf vielfache Weise nützlich sein.
    Doch der Ort, der ihr in Benevent am besten gefiel, lag abgeschieden und verborgen. Und eben deswegen mochte sie ihn besonders, weil dort kaum jemand hinfand, und auch heute würde sie da gewiss ganz für sich sein können.
    Durch die Via Garibaldi gelangte sie zu einem Gässchen, das sie sich gemerkt hatte. Hier bog sie ab, und schon verebbten die Verkehrsgeräusche und es wurde still. Sie war in eine andere Dimension eingetreten, die verlassen und friedlich war.
    Ein paar Mal bog sie noch ab, bis sie vor einer roten Mauer stand. Das Tor war nur angelehnt, wie sie es bereits kannte. Langsam, fast behutsam trat sie ein, so, als überschreite sie die Schwelle zu einem geweihten Ort. Und in gewissem Sinne war er das auch, ein Schutzraum für sie, wo sie endlich ein wenig Ruhe finden und die Einsamkeit genießen konnte.
    Es war ein winziger Park, oder genauer ein Garten, ein Hortus Conclusus, wie er genannt wurde, ein lateinischer Name, dessen Bedeutung sie nicht kannte. Er lag eingeschlossen zwischen den hohen Mauern der umliegenden Häuser und in ihm wuchsen Platanen und Rosskastanien. Sogar Bambus- und Papyrusstauden sah sie. Hier und dort gab es Skulpturen zwischen Büschen und Bäumen. Eine stellte ein Pferd mit langen Beinen, schmalen Fesseln und goldenem Kopf dar, das auf einer Mauer stand. Eine riesengroße bronzene Scheibe steckte in der Erde, als sei sie gerade vom Himmel gefallen, oben war ein schmaler Kopf angebracht, aus dem Wasser in ein kleines Becken rann. Wieder eine andere Skulptur zeigte einen Mann mit unglaublich langen Armen. Dann gab es einen Hut, der seltsam länglich geformt war. Die Figuren wirkten verträumt und schienen wie Visionen aus dem Erdboden gewachsen zu sein. Und das gefiel Sofia. Es war wirklich ein verzauberter Garten. Sobald man ihn betrat, war man vom Lärm und dem Betrieb der Stadt völlig abgeschnitten. Hier plätscherte nur das Wasser, das aus den verschiedenen Springbrunnen hervorsprudelte.
    Tief sog Sofia die Luft ein. Sie fühlte sich schon viel besser.
    Wie immer drehte sie eine kleine Runde. Schritt für Schritt eroberte sie sich diesen Ort und vergewisserte sich, dass niemand da war.
    Sie trat auf einen kleinen steinernen Brunnen zu. Sein niedriges Becken war voller Seerosen und anderen Wasserpflanzen. Auf der Oberfläche zogen Wasserläufer ihre Bahnen. Die Drachenschwester blieb stehen, um diesen kleinen zähen Ruderern zuzusehen. Genau genommen waren auch sie Akrobaten, ähnlich wie Lidja: Wie hätten sie sich sonst mit ihren dünnen Beinen auf dem Wasser halten können?
    Lidja. Lidja war eindeutig zu weit gegangen, und bald würde ihr das selbst klar werden.
    Allerdings … Allerdings hatte auch sie sich ein wenig zu sehr hinreißen lassen. Aber wirklich nur ein wenig. Oder, na ja, doch ziemlich. Aber es ging ihr eben nicht gut. Sie sehnte sich nach zu Hause und vermisste den Professor.
    Unter der Wasseroberfläche schwammen Goldfische im Zickzack gemächlich zwischen den Algen umher. Sofia fasste sich ein Herz und holte den Briefumschlag aus dem Mantel. Schon vor zwei Tagen hatte sie ihn erhalten und die Handschrift gleich erkannt: elegant, ordentlich, schwungvoll. Ihr Herz hatte schneller geschlagen.
    An Sofia …
    Nur für sie.
    Jetzt drehte sie den Umschlag zwischen den Fingern hin und her, betrachtete noch einmal das wertvolle Papier und den Stempel. Er kam von weit her, aus der Stadt, die sie so gerne besucht hätte: Budapest.
    Es war der erste Brief, den sie vom Professor erhielt, seit sie beim Zirkusvolk lebte. Sehnsüchtig hatte sie darauf gewartet. Sie vermisste den Professor, sie vermisste ihn so sehr.
    In dem Umschlag steckte auch eine Ansichtskarte. Das Foto zeigte eine Stadt bei Nacht: Im Vordergrund sah sie einen Fluss, der glitzernd und glatt wie Öl dahinströmte, dahinter eine Kathedrale, die von unzähligen Lichtern erhellt wurde. Sofia versetzte es einen Stich.
    Der Brief aus feinem Seidenpapier war zweimal gefaltet, und es knisterte, als sie ihn öffnete. Sie las ihn zum unzähligsten Mal.
    Liebe Sofia,
ich hoffe sehr, Du hast mir
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