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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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immer gut hörte. Wie ein Blinder, der nicht an seine Blindheit zu denken brauchte, wenn es finsterste Nacht und der Strom ausgefallen war und die anderen nichts mehr sehen konnten. Oder wie ein Stummer bei einer Granatexplosion. Oder ein Lahmer an einem Fallschirm.
    Ich bewegte mich wieder ein bisschen, klonk-klonk-klonk. Dann drehte ich mich im Wasser um und öffnete die Augen. Alles war grün und blau. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich zehn Minuten unter Wasser bleiben, ohne zu atmen.
    Aber schließlich musste ich doch nach Luft schnappen, die wie eine Sturzflut in meine Lungen floss. Wenn man so lange, wie es ging, unter Wasser gewesen war, sogar noch ein bisschen länger, dann schien man in einer anderen Welt aufzutauchen, wenn man wieder atmen, wieder klar sehen und auf andere Art hören konnte. Es war, als hätte man die Welt fast vergessen, obwohl man nur wenige Minuten weg gewesen war. Manchmal war es unter Wasser schöner. Wenn man bleiben könnte. Daran hatte ich diesmal nicht gedacht, aber früher schon. Unter Wasser zu bleiben und allem zu entkommen, was es oberhalb gab. Ich war froh, dass ich es in diesem Moment nicht gedacht hatte. Nie mehr wollte ich so denken.
    Ich richtete mich auf und streckte mich nach dem Handtuch, das an einem Haken neben der Toilette hing.
    Kerstins Vater hatte auf einem Jahrmarkt gearbeitet.
    War er es gewesen? -
    Die Gestalt auf dem Feld«?
    Hatte er deswegen nichts gesagt? Hatte er deswegen still im Wohnwagen gestanden und Kerstin betrachtet? Aber warum?
    Ich trocknete mich ab und hängte das Handtuch über eine Leine über der Badewanne.
    Großmutter hatte draußen im Flur frische Kleidung bereitgelegt. Waren das Sachen von Kerstins Vater? Sie rochen gut, nach Waschmittel. Das Hemd war rot gestreift wie das eines Waldarbeiters. Die Hosenbeine waren zu lang, aber ich krempelte sie auf.
    Von unten hörte ich Kerstins Stimme. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber sie klang froh. Wie sollte ich ihr das mit dem Jahrmarkt beibringen? Vielleicht würde ich gar nichts sagen.
     
    Der Backofenpfannkuchen sah aus wie Mond und Sonne zugleich, er leuchtete in allen Goldtönen und duftete wunderbar.
    »Dass ich aber auch keinen Speck im Haus hatte!«, sagte Großmutter. Den Speck konnte sie einfach nicht vergessen.
    »Dann wäre der Pfannkuchen nicht so golden geworden«, sagte ich.
    »Und er hätte auch nicht so gut gerochen«, sagte Kerstin.
    »Da hast du Recht, vielleicht nicht«, sagte Großmutter.
    Der Pfannkuchen war knusprig wie Waffeln, nur dicker und luftiger. Im Mund schmolz er wie eine Wolke. Dazu gab es Preiselbeermarmelade. Großmutter hatte sie selber gemacht. Jemand in der Stadt pflückte Beeren für sie, denn sie konnte nicht mehr in den Wald gehen.
    Es war ein richtiges Festmahl. Passend als letzte Mahlzeit am letzten Tag dieser Reise. Es war wie nach Hause kommen. In diesem Augenblick war dies unser einziges Zuhause. Und genau aus dem Grund mussten wir so schnell wie möglich zurück. Wir mussten wissen, was zu Hause los war.
    »Wie geht es Kjell?-«, fragte Kerstin.
    »Wie meinst du das?«, fragte Großmutter.
    »Was hat er gesagt?-«
    »Nicht… viel.«
    »Hat er nach mir gefragt?-«
    »Aber selbstverständlich.«
    »Wenn du Telefon hättest, hätte ich dich anrufen können.«
    »Nach allem, was passiert ist, muss ich mir wohl eins anschaffen. Im Haus gegenüber haben sie heute eins bekommen.«
    »Heute?«
    »Genau heute. Sie haben es mit einem großen Auto gebracht. Man stelle sich vor, dass sie so ein großes Auto für so einen kleinen Apparat brauchen.«
     
    Die Sonne war untergegangen. Während Großmutter in der Küche das Geschirr abspülte, saßen Kerstin und ich im Wohnzimmer auf dem Sofa nah beim Fenster. Ich sah den Mond aufgehen. Jetzt hatten wir den Drachenmonat. Kerstin und ich hatten uns gleichzeitig mit dem Mond über die Erde bewegt. Wir hatten einen Umlauf genau wie der Mond gemacht.
    Der Drachenmonat folgte immer dem Sommer. Das war jetzt. Aber er würde nicht mehr lange dauern.
    »Der Drachenmonat ist fast vorbei.« Ich zeigte zum Himmel hinauf. »Der Mond ist wieder an seinem Ausgangspunkt angekommen.«
    »Ich versteh kein Wort«, sagte Kerstin.
    »Das ist ein astronomischer Ausdruck«, sagte ich. »Drachenmonat. Der Mond dreht sich um die Erde. Der Mond hat sich zusammen mit uns bewegt. Wir sind im Drachenmonat unterwegs gewesen.«
    Kerstin schaute zum Mond hinauf. Der stand jetzt still.
    »Bewegt er sich auf eine besondere
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