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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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sie.
    Mörder!, hatte Sten geschrien. Mir fiel plötzlich Klops ein. Er hatte Angst gehabt vor einem Mörder, der sich angeblich in der Stadt aufhielt.
    Der Mörder war ich.
     
    Draußen flog die Landschaft vorbei, die uns inzwischen vertraut war, nachdem wir kreuz und quer herumgefahren waren. Bald würden uns vermutlich alle Leute, die hier wohnten, erkennen. Wir würden nicht mal einen Laden betreten und etwas zu essen kaufen können. Oder einen Platz überqueren. Oder mit dem Bus, dem Zug oder per Anhalter fahren. Alle würden uns erkennen.
    Wir würden wieder angegriffen werden. Beim nächsten Mal würde es nicht so gut ausgehen. Wir waren vogelfrei. Im Bus dachte ich an Vogelfreie wie Robin Hood, aber wir hatten kein Geld, das wir Armen geben konnten, weil wir selber arm waren. Heute Abend würden wir total verarmt sein.
    Mein Magen knurrte.
    »Der schreit nach Frühstück«, sagte ich.
    »Ich hab eher Durst«, sagte Kerstin. »Wenn wir ankommen, gibt’s ein Riesenfrühstück«, sagte ich.
    Die Fahrt würde sicher noch eine halbe Stunde dauern. Ich hoffte, dass in der Nähe der Endstation der Bahnhof war. Auf einem Bahnhof müsste es ein Cafe geben, und vom Bahnhof müsste heute noch ein Zug in die Richtung der Stadt fahren, in der Kerstins Großmutter wohnte.
    Ich dachte an meine Großmutter. Sobald es ging, würde ich sie besuchen. Sie würde wieder gesund werden. Mutter und ich würden sie zusammen besuchen. Vielleicht noch vor Weihnachten. Es war ja nicht mehr lang bis Weihnachten. Wir würden einen Tannenbaum haben, und ich würde einen Weihnachtsschinken im Backofen backen. Das war gar nicht schwer. Man musste ihn nur erst kochen, abkühlen lassen und dann mit einer Masse aus geschlagenem Ei, Senf und Paniermehl bestreichen. Dann schob man ihn in den Backofen und ließ ihn goldbraun werden. Und dann aß man, bis man fast platzte. Ich stellte mir einen mit Fleischbällchen, Cocktailwürstchen und eingelegtem Hering gedeckten Weihnachtstisch vor. Eine gefährliche Vorstellung, wenn man noch nicht gefrühstückt hatte. Man konnte leicht durchdrehen. Mutter war nicht durchgedreht. Sie war nur ein bisschen traurig. Wenn ich wieder zu Hause war, würde ich ihr helfen. Sie sollte wieder froh werden. Ich könnte eine Trompete kaufen, sie mit Goldfarbe streichen und ihr darauf vorspielen. Ich könnte mein Wakizashi schlucken.
    Sobald ich zu Hause ankam, würde ich sie aus der Irrenanstalt holen.
    Es war Zeit, nach Hause zu fahren.
    Aber vorher würden wir Kerstins Großmutter besuchen. Unser letztes wichtiges Ziel auf dieser Flucht. Danach gab es nur einen einzigen Weg, und der führte geradewegs nach Hause. Wenn wir es bis zu Kerstins Großmutter schafften, schafften wir es auch zurück. Allein. Das war wichtig. Nicht das Jugendamt sollte bestimmen.
    Wir passierten die Stadtgrenze. Hier gab es keinen Willkommensgruß. Darüber war ich froh. Gegenüber solchen Schildern musste man immer misstrauisch sein. Die Leute, die sie aufstellten, fragten die Stadtbewohner vermutlich nicht danach, ob sie Fremde wirklich willkommen hießen.
    Der Bus hielt.
    »Da drüben ist der Bahnhof!« Kerstin zeigte auf ein hohes Gebäude, das fast wie ein Schloss aussah.
    Wir stiegen aus. Der Fahrer schaute uns nach, sagte aber nichts.
    Im Bahnhof gingen wir zu der großen Tafel mit den Abfahrtzeiten.
    »In knapp zwei Stunden fährt ein Zug zu Großmutter!«, sagte Kerstin.
    »Wie lange dauert die Fahrt?-«
    »Eineinhalb Stunden.«
    »Gut. Was kostet die Fahrt«?-«
    »Danach müssen wir am Schalter fragen.«
    Ich stand hinter Kerstin, das heißt ihrem Rucksack, den sie immer noch auf dem Rücken trug, und fragte mich, wo meiner wohl war. Vielleicht hatte die Polizei ihn als Beweismaterial behalten. Ich hoffte, dass sie nicht versucht hatten, ihn Mutter zu zeigen.
    »Dahinten ist ein Cafe«, sagte ich.
    »Wollen wir nicht erst die Fahrkarten lösend«
    »Ach ja, klar.«
    Wir gingen zum Fahrkartenschalter. Dort war keine Schlange. Die Fahrkarten waren nicht so teuer, wie ich befürchtet hatte. Der Rest des Geldes würde wirklich für ein Frühstück reichen.
    Wir betraten das Cafe. Es gab belegte Butterbrote, Kaffee und Tee. Ich zählte das Geld.
    »Es reicht für ein Butterbrot mit Fleischbällchen und ein Käsebrötchen«, sagte Kerstin. »Und zwei Tassen Tee.«
    »Wir können uns die Brote ja teilen«, sagte ich.
    An der Kasse des Cafés war auch keine Schlange. Der ganze Bahnhof wirkte verlassen. Vielleicht hatten sie ihn
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