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DrachenHatz

DrachenHatz

Titel: DrachenHatz
Autoren: Ute Haese
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hinab und lief auf Thomas zu.
    »Hi«, begrüßte er mich, gab mir ungeniert einen Kuss auf den Mund und wuschelte zärtlich durch mein kurzes Haar.
    »Hi«, erwiderte ich beglückt und konnte nicht verhindern, dass ich ihn blau-grünäugig anstrahlte wie ein hormongesteuerter Teenie. Er war nicht nur »in Ordnung«, das auch, ja, aber in erster Linie war er ein Schatz. Mein Schatz!
    Ich hatte Harrys dämliche Vermutungen, halbseidene Verdächtigungen und unverschämte Anspielungen am Ende dieses total verunglückten Osteressens damals augenblicklich dort hinsortiert, wo sie hingehörten: in die Abteilung gekränkte Männerseele. Denn man benötigte in der Tat keine profunde Detektivausbildung, um zu erkennen, was ihn umtrieb. Nur weil Thomas offensichtlich nicht seiner Kragenweite entsprach, hieß das ja noch lange nicht, dass der Gute kriminell sein musste oder unlautere Absichten hegte. Welche auch? Mir mit einem Heiratsversprechen meine mageren Ersparnisse abzuluchsen, war die Mühe nicht wert. Niemand würde mich als vermögend bezeichnen; was für ein hochtrabendes Wort. Und außerdem hatte ich ihn zuerst kontaktiert, nicht umgekehrt.
    Das könne alles nur Trick und Tarnung sein, hatte Harry an dieser Stelle mit sonorer Stimme erklärt, und meine anschließende Frage nach seinen konkreten Verdachtsmomenten – Fakten, Harry! Nur die zählen in einem Fall, schon vergessen? – mit dem schlappen Hinweis gekontert, dass er eben auf seine Menschenkenntnis vertraue, Thomas ihm von Anfang an nicht geheuer gewesen sei und er ihn schließlich mit dem ganzen Porno-Kram absichtlich provoziert habe. Doch da sei nichts gekommen, der habe überhaupt nicht reagiert, obwohl er mich damit doch erkennbar an den Rand eines Infarktes gebracht habe. Und dies, fand Harry, sei für einen Mann ein höchst verdächtiges Verhalten. Er hätte sich jedenfalls an Thomas’ Stelle schon längst eine gescheuert.
    Und das war alles. Ich fasste es nicht, sagte es ihm unverzüglich, woraufhin er nochmals den unverzeihlichen Satz abließ, dass ich die Hormone mal beiseitelassen und den Verstand bemühen sollte. Schließlich würde ich mich doch Privatdetektivin schimpfen, was nach seiner bescheidenen Einschätzung jedoch im Moment keinesfalls zuträfe.
    Das war nicht nett. Doch ich behielt die Nerven und zeigte wahre Größe – »Ja, ja, die Liebe ist eine Himmelsmacht«, hörte ich doch tatsächlich meine Mutter im Hinterkopf raunen –, indem ich sehr ruhig bemerkte, dass er, Harry Gierke, meiner bescheidenen Meinung nach unter einem gehörigen Knall litt, dessen Ursache man schleunigst auf den Grund gehen sollte.
    Jetzt war er sauer. Mir war das egal.
    Doch er blieb stur, witterte auch weiterhin überall finsterste Machenschaften und tiefste Abgründe in Thomas’ Charakter, verabschiedete sich bald darauf – und hatte dies seitdem auch aus meinem Leben getan, treulose und beleidigte Tomate, die er war.
    »Darf ich die Damen miteinander bekannt machen?« Thomas deutete eine leichte Verbeugung an. »Greta Gallwitz – Hanna Hemlokk.«
    Fast hätte ich automatisch »Sehr erfreut« gesagt, doch Greta kam mir zuvor, indem sie ohne viel Federlesens nach meiner Rechten griff, sie heftig drückte und dabei mit Inbrunst hervorstieß: »Danke, Hanna, dass du mir bei meiner Flucht hilfst.«
    »Äh … bitte.« Mein zugegeben nicht sehr originelles »Willkommen in Bokau, dem Zentrum der Welt«, blieb mir angesichts ihrer Worte im Halse stecken. Ich Schaf hatte gedacht, ich würde zwischen dem Kistenschleppen hie und da ein paar freundlich-belanglose Worte mit Margas neuer Nachbarin wechseln, und das wäre es dann fürs Erste. Stattdessen: Flucht!
    In meinem detektivischen Hirn fing ganz sacht eine Glocke an zu bimmeln, und ich besah mir die neue Mitbewohnerin genauer. Vor mir stand eine Frau, die ich auf Ende vierzig, Anfang fünfzig schätzte, was an und für sich noch kein Alter ist. Doch Gretas langes, zum Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar war bereits eisgrau, und sie war dünn, sehr dünn sogar, sodass ihre Gesichtszüge regelrecht verhärmt wirkten. Und müde, als trüge sie eine ungeheure Last mit sich herum. Was ja wohl der Wahrheit entsprach. Sie hatte Thomas zwar gebeten, Marga und mir nichts über ihr Schicksal zu erzählen – das wollte sie zu gegebener Stunde lieber selbst tun –, doch Thomas’ düstere Andeutungen waren bereits bemerkenswert genug gewesen: Tragisch sei da noch die harmloseste Vokabel, grausam und
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