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DrachenHatz

DrachenHatz

Titel: DrachenHatz
Autoren: Ute Haese
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sein. Aber ich fand immer, dass er noch zu klein war, weil doch so eine enorme Wucht hinter diesen Dingern steckt. Der Drachen hätte meinen Jungen ja glatt hochgezogen und abtransportiert. Er war doch so mager. Natürlich hat er das nicht eingesehen und quengelte immer wieder. Als er dann fast acht war, also im letzten Herbst, habe ich nachgegeben. Er sollte ihn zwar erst zu seinem Geburtstag bekommen, aber der liegt im November, und ich wollte noch bei einigermaßen gutem Wetter mit ihm raus. Er wäre neun geworden, wenn ich ihn nicht vorher umgebracht hätte.«
    »Greta«, murmelte Marga. Ihre Stimme klang vor lauter Mitgefühl unendlich weich. Und auch mir tat die Frau, die sich offensichtlich enorm mit ihrer Schuld quälte, schrecklich leid. Da hatte ich in meiner Laufbahn ganz andere Mörder kennengelernt. Die reute nichts. Im Gegenteil, die waren sich nicht einmal ihrer Schuld bewusst.
    »Hauke stand am Wasser«, fuhr sie, eisern um Selbstbeherrschung ringend, fort, »und ich oben auf dem Deich. Der Wind kam von Osten, und es machte eine Menge Spaß, mit dem Drachen herumzuspielen und ihn in die verschiedenen Richtungen sausen zu lassen. Ich hatte einen knallbunten gekauft. Und das Wetter war so schön an jenem Tag. Es muss einer der letzten sonnigen Herbstnachmittage gewesen sein.« Greta verstummte. Tränen liefen über ihre fleckigen Wangen, aber sie schien sie gar nicht zu bemerken, Ich fragte mich, wie oft sie ihre Geschichte schon erzählt hatte. Egal wie häufig, leichter wurde es dadurch offensichtlich nicht. Na ja, wie auch? Marga reichte ihr stumm ein Taschentuch. Und ich überlegte, wie ich sie möglichst taktvoll zum Weitersprechen animieren konnte.
    »Der Drachen hat dann den Jungen im Sturz … äh … also im Sinkflug gestreift?«, mutmaßte ich zartfühlend und erinnerte mich in diesem Augenblick auch wieder an die atemlose Berichterstattung in der Presse, die ich allerdings aufgrund meiner eigenen damaligen Situation nur am Rande mitbekommen hatte. Der Fall war durch alle regionalen wie überregionalen Gazetten gegangen, und irgendwelche Oberbesorgten hatten sofort ein europaweites Verbot der Drachen gefordert.
    »Ich habe ihm den Schädel zertrümmert.«
    »Hauke hat nicht gelitten. Er war sofort tot«, ergänzte Thomas mit ruhiger, kontrollierter Stimme. Es war an sich eine makabre Bemerkung, doch in diesem Fall besaß sie wohl tatsächlich etwas Tröstendes. Und es klang, als korrigierte er Greta nicht zum ersten Mal. Denn die Sache selbst war natürlich einfach nur furchtbar. Die Last, den eigenen Sohn auf derart scheußliche Art und dazu von eigener Hand zu verlieren, würde sie vermutlich nie wieder loswerden. Stattdessen würde sich Greta wohl für den Rest ihres Lebens mit den bittersten Vorwürfen quälen …
    »Es tut mir so leid«, murmelte ich und meinte eigentlich »Du tust mir so leid.« Das Schicksal des Jungen trat irgendwie völlig in den Hintergrund. Aber das war ja auch nur natürlich. Er war schließlich tot, und seine Mutter musste weiterleben.
    »Ja«, flüsterte Greta mit gepresster Stimme. »Es ging alles so schnell. Ich rief Hauke noch zu, dass wir gleich wechseln wollten, also dass er mit dem Drachen üben sollte, während ich ihm zuschaute. Er kam mir entgegen, strahlte und lachte mich an, weil er so glücklich war in diesem Moment …«
    »Hattet ihr ihn denn vorher noch niemals ausprobiert?«, erkundigte ich mich neugierig. Nach meiner Erfahrung bedarf es nämlich einiger Übung, bis man so ein Teil überhaupt richtig in die Luft bekommt.
    »Doch. Natürlich. Wir hatten beide unsere Freude daran. Seit September fuhren wir fast jedes Wochenende, wenn das Wetter es zuließ, hinaus zum Deich. In die Nähe von St. Peter Ording. Es machte uns beiden Spaß. Mir allerdings hauptsächlich, weil mein Junge so begeistert war. Und anschließend gab es immer ein Stück Pizza. Die hat Hauke geliebt.«
    »Ja, das tun sie alle, nicht?«, meinte Marga einfühlsam.
    Erst jetzt drehte Greta sich wieder zu uns um. Sie sah furchtbar aus: blass und rot in einem, zerfurcht und völlig fertig. »Ich … konnte ihn nicht mehr steuern. Es kam wohl eine Bö, haben sie gesagt. Und der Drachen schoss genau auf Hauke zu. Ich habe es gesehen, genau gesehen, oh ja, aber ich … konnte ihn einfach nicht mehr steuern. Es ging so furchtbar schnell. Und dann war der Junge tot. Mein Hauke. Völlig still lag er da, und alles war blutig, und irgendjemand hat geschrien. Nur geschrien …«
    Ich
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