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Drachenglut

Titel: Drachenglut
Autoren: Jonathan Stroud
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Kreuz.
    Mit großer Anstrengung war es den acht Arbeitern und dem Pfarrer gelungen, den fahrbaren Metalltisch um die Kirche herum durch das Westportal zu schi e ben. Es war wahrhaftig – nach den Worten von Mr Purdew – »ein Scheißjob« gewesen, aber Mrs Troughton vom Museum hatte darauf bestanden. B e vor sie wieder nach Stonemarket fuhr, wollte sie das Kreuz sicher hinter Schloss und Riegel verwahrt wi s sen, und alles Stöhnen und Fluchen hatte daran nichts ändern können.
    Jetzt war es hier, und Tom hatte schweigend se i nen kostbaren Fund untersucht.
    »Grundgütiger Himmel, Herr Pfarrer, wischen Sie Ihren eigenen Fußboden?«, fragte Mr Cleever, als er ins Mittelschiff trat. Er grinste breit.
    »Ich wasche nur den Lehm ab, Mr Cleever.« Jetzt erst bemerkte Tom die gelben Rinnsale, die auf den Steinfußboden tropften. »Ich wollte mir dieses M u ster auf unserem Schatz mal genauer ansehen.«
    »Gewiss doch. Erlauben Sie mir auch einen kurzen Blick darauf? Alle im Gemeinderat reden von nichts anderem, und da musste ich einfach selber kommen und mir das mal ansehen. Das hört sich ja alles höchst aufregend an.«
    »Aber gern.« Tom trat zurück und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab.
    Er sah Mr Cleever nach vorn kommen und reg i strierte die Geschmeidigkeit und kontrollierte Kraft, die in seinen Bewegun g en lag. Mr Cleever war hochgewachsen, mit Geheimratsecken und hellbla u en Augen und einem L ä cheln, das sich immer wie aus dem Nichts kommend über sein ganzes Gesicht ausbreitete. Es war ein u n vergessliches Lächeln, das während seiner vielen Tätigkeiten als Gemeind e ratsmitglied, Jugendgruppe n leiter und Vorsitzender mehrerer Ortsvereine regelmäßig erstrahlte. Es ve r mittelte kraftvolle Energie und Entschlussfreudigkeit und wurde im Dorf sehr bewundert.
    Tom empfand oft einen gewissen Vorbehalt g e genüber Mr Cleever und war sich bewusst, dass er damit eine mögliche Eifersucht kaschieren wollte. Das fühlte er auch jetzt.
    Sieht ihm ähnlich, hier einfach reinzuschneien, dachte er. Warum kann er nicht wie alle anderen bis morgen warten?
    Mr Cleever blieb auf der anderen Seite des Tischs stehen, den Blick auf das große Kreuz geheftet. Es glitzerte von dem Wasser, mit dem Tom den Lehm von den verschlungenen kreisförmigen Ornamenten abgewaschen hatte.
    »So, so«, sagte er. »So, so.«
    Und das war für längere Zeit alles, was er sagte.
    Tom warf den Schwamm in den Eimer, stand e be n falls da und blickte auf das Kreuz von Fordrace.
    Zuerst war er durch die Komplexität der verschi e denen Linien verwirrt worden, aber als er mit dem Schwamm durch die Rillen der Oberfläche wischte und der Wirrim-Lehm langsam weggespült wurde, hatte sich das Muster enthüllt.
    Der Mittelpunkt der Steinmetzarbeit lag innerhalb des Kreises, der die beiden Kreuzbalken umschlang. Hier wurde ein kunstvoll gearbeitetes, zusammeng e rolltes Tier sichtbar, das sich in endlosen Schlingen und Kreisen um sich selbst drehte. Das Monster war so stilisiert, dass nur wenige Teile seiner Anatomie erkennbar waren. Da war ein Bein, das sich entweder im Angriff o der zur Verteidigung mit zwei langen vogelähnlichen Klauen gegen den Stumpf des rec h ten Kreu z balkens streckte. Ein anderer Fuß mit Klaue war n a he dem unteren Kreisbogen, und dann gab es noch eine Art Schweif, der sich in mehrere dünne Schwänze teilte, die sich strahlenförmig in alle Ric h tungen rankten. Das alles war sehr abstrakt, und nur der Kopf verriet Tom, dass er ein Tier vor sich hatte. Der Kopf war abgeknickt und verschlang mit dem geöffneten Maul einen Teil des Körpers. Man sah nur ein großes Auge, eine lange Schnauze und viele scharfe Zähne.
    Kein Vegetarier, dachte Tom.
    Außerhalb des Kreises war das Kreuz mit einer Reihe von gewundenen Linien bedeckt, die an dem langen Balken und dem verbliebenen kurzen entla n gliefen. In Abständen zweigten Ranken ab und end e ten in dickeren Kugeln, die möglicherweise Blätter oder Knospen darstellen sollten. Auf dem Längsba l ken schlangen sie sich um zwei lange, dü n ne, in der Mitte gekreuzten Speere, deren Spitzen fast den Rand des Kreises berührten.
    Genau am äußeren Rand des Kreises, an den drei Stellen, wo der Balken herauskam, liefen die Pfla n zenstiele auseinander und bildeten eine schmale L ü cke, in die ein abstraktes Symbol gemeißelt war. Das obere war ein Dreieck, das untere eine Reihe gewel l ter Linien, die die Form einer kleinen Krone hatten. Das Symbol rechts war ganz
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