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Drachenflamme: Roman (German Edition)

Drachenflamme: Roman (German Edition)

Titel: Drachenflamme: Roman (German Edition)
Autoren: Naomi Novik
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starrendes Kind schniefend in einer Ecke saß.
    Noch verstörender war der Anblick von blutüberströmten Menschenkörpern, die im militärischen Hauptquartier zur Schau gestellt wurden, wo ein enthusiastischer Auspeitscher anscheinend kaum eine Pause machte zwischen den einzelnen Delinquenten. Eine Reihe von gefesselten, düster dreinblickenden Männern wartete auf fünfzig oder hundert Hiebe, was hier offenbar der Vorstellung einer milden Strafe entsprach.
    »Wenn ich nicht bald selbst eine Meuterei an Bord hätte«, bemerkte Riley halblaut, als sie zur Allegiance zurückkehrten, »würde ich meine Männer hier nicht an Land gehen lassen; Sodom und Gomorrha ist ja nichts dagegen.«
     
    Die nächsten drei Wochen in der Kolonie trugen wenig dazu bei, Laurence’ Meinung über die aktuelle oder die vorherige Führung zu
heben. An Bligh selbst konnte er nichts Sympathisches entdecken: Seine Sprache und sein Verhalten blieben schroff und abweisend. Und dort, wo die Versuche, seine Autorität wiederzuerlangen, durchkreuzt wurden, verlegte er sich stattdessen auf ungeschicktes Zureden, wobei sich plumpe Schmeicheleien mit verärgerten Wutausbrüchen die Waage hielten. Er verhehlte jedoch kaum seine Überzeugung, von vollkommener Rechtschaffenheit angetrieben zu sein.
    Aber diese Angelegenheit war schlimmer als jede gewöhnliche Meuterei: Bligh war ein königlicher Gouverneur gewesen, und ebenjene Soldaten, die dafür verantwortlich gewesen waren, seine Befehle auszuführen, hatten ihn verraten. Riley und Granby blieben unnachgiebig, und da zu vermuten stand, dass sie in absehbarer Zeit wieder mit dem Schiff ablegen würden, hatte sich Bligh auf Laurence versteift, den er für den vielversprechendsten Weg zurück in sein Amt hielt. Er ließ und ließ sich einfach nicht abschütteln. Inzwischen beklagte er sich täglich bei Laurence darüber, wie schlecht geführt die Kolonie war, und malte den Niedergang aus, in den ein derartig gesetzloses Treiben naturgemäß münden würde, wenn man ihm kein Ende setzte.
     
    »Lass ihn doch von Temeraire über Bord werfen«, hatte Tharkay trocken vorgeschlagen, als Laurence in sein Quartier geflüchtet war, um trotz der beinahe erstickenden Hitze unter Deck ein wenig Ruhe zu finden und eine Runde Karten zu spielen. Die geöffneten Fenster ließen nur die noch heißere Brise herein. »Er kann ihn ja später wieder rausfischen«, fügte er nach kurzem Nachdenken hinzu.
    »Ich bezweifle doch sehr, dass etwas so Mildes wie das Wasser des Ozeans ausreichen würde, um das fiebrige Gemüt dieses Gentleman für längere Zeit abzukühlen«, sagte Laurence, der sich in Sarkasmus flüchtete, um sich ein wenig zu beruhigen. Bligh war an diesem Tag so weit gegangen, ganz offen von seinem Recht zu sprechen, Männer
zu begnadigen, sollte er wieder in sein Amt eingesetzt werden, und Laurence war gezwungen gewesen, ihn mitten im Satz zu unterbrechen, um sich nicht von diesem Bestechungsversuch beleidigen zu lassen. »Es wäre alles viel leichter«, fügte er müde hinzu, als sein aufgeflammter Zorn verebbt war, »wenn ich nicht der Meinung wäre, dass er mit seinen Klagen recht hat.«
    Denn das Laster, das sich durch die augenblickliche Führung der Kolonie breitmachte, war unübersehbar, selbst wenn man es nur vom Schiff aus beobachtete. Laurence hatte im Vorfeld erfahren, dass die Strafgefangenen in der Regel zu harter Arbeit verurteilt worden waren, und wenn sie diese ohne weitere Vorfälle hinter sich gebracht hatten, ihre Freiheit und ein Stück Land erhalten würden. Dies war ein wohldurchdachter Plan, den der erste Gouverneur ersonnen hatte, um den Gefangenen einen Anreiz zu verschaffen und gleichzeitig das Land zu besiedeln. Doch im Laufe der folgenden zwei Jahrzehnte war dieser Plan kaum mehr als ein frommer Wunsch gewesen, während in Wahrheit die einzigen Männer mit Besitz die Offiziere des Neusüdwales-Korps oder ihre früheren Kameraden waren.
    Im besten Fall wurden die Verurteilten als billige Arbeitskräfte benutzt, im schlimmsten Fall als Leibeigene. Die Sträflinge verfügten über keinerlei Beziehungen und hatten keine Perspektive, die sie entweder ein Interesse an der Zukunft entwickeln oder Scham über ihr augenblickliches Benehmen empfinden ließ. Noch dazu saßen sie in einem Land fest, das ein Gefängnis ohne Mauern war, was dazu führte, dass sich die Männer durch billigen Rum bestechen ließen und so leicht zur Arbeit angetrieben oder ruhig gestellt werden konnten. Mit dem
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