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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot
Autoren: Robert Low
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überredete daraufhin Jaropolk, gegen seinen Bruder in den Krieg zu ziehen.
    Oleg wurde besiegt und getötet, Wladimir floh nach Norden und bat die Schweden um Hilfe, die er auch bekam; schließlich kehrte er mit einer Armee von Wikingern zurück, besiegte seinen Bruder Jaropolk und wurde 980 in Kiew zum alleinigen Herrscher der Rus gekrönt – und der junge Krähenbein saß vermutlich ganz in seiner Nähe. Damit begann der Prozess, in dem der lose Verbund der slawischen Völker sich zusammenschloss, woraus später das mächtige Russland wurde.
    Von seinen drei Jahren im nordischen Exil verbrachte Wladimir zwei bei Olaf Tryggvesson, wo er als Wikinger an Raubzügen entlang der gesamten Ostseeküste teilnahm. Es sollte niemanden überraschen, dass es im 10. Jahrhundert ganz normal war, dass zwei Jünglinge aus noblen Familien im Alter von fünfzehn beziehungsweise achtzehn Jahren ganze Schiffe mit bärtigen Kriegsveteranen befehligten, die die Rechtmäßigkeit dieser Tatsache auch nie infrage stellten.
    Die Figur des Onkel Dobrynja schließlich geht auf die russische Sagengestalt Dobrynja Nikitsch zurück, den Helden, der mit einem großen Drachen oder Lind wurm kämpfte, der in der altnordischen Sprache natürlich Orm heißt.
    Somit sind die historischen Tatsachen – selbst unter Berücksichtigung mittelalterlicher Aussschmückungen – ein ganz gutes Gerüst, um mit Leben ausgefüllt zu werden. Um die Geschichte jedoch zu vervollständigen und die Sage der Eingeschworenen zu erzählen, brauchte ich auch Feinde. Das bringt uns zu den Männerhasser-Weibern.
    Die deutsche Archäologin Renate Rolle fand die ersten Beweise für die Existenz der Amazonen bei Certomylik in der Ukraine. Elena Fialko fand bei Akimovka weitere Spuren der Kriegerinnen, und die Ausgrabungen von Jeannine Davis-Kimball bei Pokrovka an der russisch-kasachischen Grenze förderte viele weitere Funde zutage, einschließlich des Skeletts eines Mädchens, nicht älter als vierzehn Jahre, mit stark gebogenen Beinen, was darauf schließen lässt, dass sie ihr kurzes Leben auf einem Pferderücken verbracht hatte. In ihrem ledernen Köcher steckten Dutzende von Pfeilen, und zu ihren Füßen lag der Hauer eines großen Ebers.
    Für Orm und die Eingeschworenen konnte es keinen besseren Weg zu Ruhm und Ehren geben, als nach dem Vorbild des Herkules mit den Amazonen zu kämpfen  – und außerdem reizte mich einfach der Gedanke, dass Attilas treueste Krieger Frauen waren.
    Der Zweck dieser Geschichte war es, den Eingeschworenen zu »großem Ruhm« zu verhelfen, so groß, dass es auch als Sinnbild für Odin gelten und eine kleine Barriere für die Flutwelle der Christianisierung darstellen konnte, die zu dieser Zeit über den Norden schwappte.
    Nun ja, und wenn man einen nordischen Helden des Dunklen Zeitalters braucht, der mindestens so berühmt ist wie Beowulf, dann braucht man auch einen Feind dieser Zeit, der mindestens ein solches Ungeheuer wie Grendel ist. Ich bin bei der Beowolf -Sage jedoch immer wieder über die Frage gestolpert, wer das eigentliche Scheusal der Geschichte ist – Beowulf, der Mensch, der sowohl Grendel als auch dessen Mutter abschlachtet, oder die beiden Letzteren: die Mutter und der Sohn in der Gestalt von Ungeheuern, die irgendwie in der Schublade der bösen Dämonen gelandet sind, aber eigentlich Mitleid verdienen.
    Schottland hat seine eigenen Mythen von Ungeheuern, darunter wohl keine grauenvollere als jene von den Wechselbälgern und von Elfen gestohlenen Neugeborenen. Heute glaubt man, dass viele dieser Märchen als Erklärung für Kindermorde erfunden wurden, die selbst im 19. Jahrhundert noch passierten. Es ist leichter, sich eines ungewollten oder missgestalteten Kindes zu entledigen, wenn man behaupten kann, es sei gegen das eigentliche Wunschkind ausgetauscht worden und von Natur aus bösartig.
    Schauermärchen von Kindern mit Fischhaut oder von schuppigen Wechselbälgern bekommen eine neue Bedeutung, wenn man an eine Krankheit denkt, die es zu allen Zeiten gegeben hat und unter der auch heute noch Menschen leiden – die Ichthyose. Es ist eine genetische Krankheit, bei der die Haut verhornt, sodass sich Hornplättchen, ähnlich wie Fingernägel, am Körper bilden. Da die Haut dadurch eng wird und sich zusammenzieht, verformt sich auch manchmal das Gesicht. Die schlimmste Form, die Harlekin-Ichthyose, ist eine wahrlich erschütternde Krankheit, und die Neugeborenen überleben selten länger als achtundvierzig
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