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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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genommenen Läuterung der Hauptgestalt im sibirischen Zuchthaus (Strafmaß: acht Jahre) gelangt das Werk an seine heikelste Stelle. Zwar hat sich Dostojewskij gehütet, das Utopische als seiend zu gestalten, doch stellt der Epilog die religiöse Überwindung des Nihilismus als möglich hin.
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    Raskolnikow und Jack the Ripper
    Verbrechen und Strafe , der erste der fünf großen Romane Dostojewskijs, ist bis heute der größte Publikumserfolg seines Autors, ja man kann sagen: dieser Roman ist das bekannteste Werk der russischen Literatur überhaupt. Wenn Thomas Mann ihn als den »größten Kriminal-Roman aller Zeiten« bezeichnet hat, so ist gegen diese Kennzeichnung nichts einzuwenden, mag sich der typische Leser von Kriminalromanen auch eher Agatha Christies Alibi zur Hand nehmen, als sich mit dem Petersburg Raskolnikows anzufreunden.
    Dass es Raskolnikow als Mörder zu Weltruhm gebracht hat, wird gewiß niemand bestreiten wollen. Er dürfte sogar als der bedeutendste Mörder des 19. Jahrhunderts gelten, wenn es Jack the Ripper nicht gegeben hätte. Nun ist Jack the Ripper eine Gestalt des wirklichen Lebens, wenn auch seine Identität niemals festgestellt werden konnte. Er hat seine Identität in seinen Taten – insgesamt fünf Morden an Prostituierten: Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddows und Mary Jane Kelly, begangen zwischen dem 31. August und 9. November 1888 im Armenviertel um Whitechapel Road im East End von London.
    All diese Morde weisen ein und dieselbe Handschrift auf: Sie geschehen immer am ersten oder letzten Wochenende des Monats; Tatwaffe ist jeweils ein Messer; dem Opfer wird die Kehle durchgeschnitten; der Leichnam wird verstümmelt, ja regelrecht ausgeweidet und auf offener Straße liegen gelassen – nur der Mord an Mary Jane Kelly geschieht nicht im Freien. Bereits nach dem zweiten Opfer kommentiert George Bernard Shaw, dieser Mann sei auf seine Weise erfolgreicher als »wir konventionellen Sozialdemokraten«, denn diesem »unabhängigen Genie« sei es gelungen, die öffentliche Aufmerksamkeit, wenn auch nur für einen Augenblick, auf die soziale Frage zu lenken (Brief an den »Star« vom 24. September 1888). [39]  
    Jack the Ripper erobert sofort die literarische Phantasie. Frank Wedekind lässt ihn das Schicksal seiner Lulu besiegeln. In der letzten Szene der Büchse der Pandora (1894 abgeschlossen) bringt Jack Lulu und ihre lesbische Freundin, die Gräfin Geschwitz, um: mit dem Messer. Und Wedekind hat es sich nicht nehmen lassen, die Rolle Jacks selbst zu spielen. Auch in Alban Bergs Oper Lulu (1937, komplettiert von Friedrich Cerha 1979) beschließt Jack the Ripper als letzter Kunde die Handlung. Eine Hommage an den Mörder von London ist auch Bert Brechts Moritat von Mackie Messer aus der Dreigroschenoper (1928). Mit ihrem Roman Der Untermieter ( The Lodger ), der 1913 erscheint, schafft Marie Belloc Lowndes die Grundlage für bislang fünf Verfilmungen des Ripper-Mythos, darunter eine von Alfred Hitchcock ( The Lodger, Stummfilm, England 1926) – sowie für eine gleichnamige Oper von Phyllis Tate (1960). Noch Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts lässt sich Ernst Jünger von Jack the Ripper zu seiner Erzählung Eine gefährliche Begegnung inspirieren.
    Man sieht deutlich: Jack the Ripper ist zu einer literarischen Gestalt eigener Art geworden, weil er als empirische Gestalt nur in seinen Taten greifbar ist und deshalb die Phantasie immer wieder neu herausfordert. Und so ist festzustellen, dass sich zwei Persönlichkeiten den Anspruch streitig machen, als der bedeutendste Mörder des 19. Jahrhunderts gelten zu dürfen: Rodion Raskolnikow, Petersburg, und Jack the Ripper, London. Beide haben miteinander gemein, dass durch ihre Morde die öffentliche Aufmerksamkeit nachhaltig auf die soziale Frage gerichtet wird; beide finden in der Anonymität der Großstadt ihre Wirkungsstätte; beiden gelingt das perfekte Verbrechen – dem einen mit dem Beil, dem anderen mit dem Messer.
    Die Handlung des Romans und ihre Darbietung
    Wie wird die soziale Frage in Verbrechen und Strafe formuliert? Der Roman spielt im Jahre 1865, ein Jahr vor seinem Erscheinen. Dostojewskij hat einen Gegenwartsroman geschrieben. Er wollte den Nerv des zeitgenössischen Lesers treffen. Dieser Nerv – das ist die in Russland allseits feststellbare finanzielle Ohnmacht derer, die sie nicht verdient haben. Verbrechen und Strafe ist ein antikapitalistischer Roman –
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