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Dornröschens Bestrafung

Dornröschens Bestrafung

Titel: Dornröschens Bestrafung
Autoren: Anne Roquelaure
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Moment nicht
ahnte, wie bald Dornröschen in Ungnade fallen würde.
    „Trotz aller Rohheit und
Grausamkeit“, hatte er gesagt, „ist es eine erhabene Strafe.“
    Waren es jene Worte
gewesen, die Dornröschen ins Verderben führten? Sehnte sie sich gar danach, vom
herrschaftlichen Hof mit seinen prunkvollen und prächtigen Ritualen verstoßen zu
werden in eine Wildnis der Verachtung und Demütigung, wo Schläge und
Erniedrigungen sie mit gleicher Gnadenlosigkeit peinigen und tiefe und trostlose
Verlassenheit quälen würden? Natürlich würden die gleichen Vorschriften und
Verbote gelten.
    Auch im Dorf war es untersagt,
einem Sklaven offene Wunden zuzufügen; er durfte keine Brandwunden erleiden
oder ernsthaft verletzt werden. Nein, ihre Bestrafung würde sie alle erhöhen.
Und sie wusste jetzt, was harmlos aussehende Lederriemen und vortrefflich
verzierte Paddel ausrichten konnten.
    Doch im Dorf würde sie
keine Prinzessin sein und Tristan kein Prinz. Die ungehobelten Weiber und
Männer des Dorfes, denen sie zu dienen hatten, würden wissen, dass sie mit
jedem Hieb, ob lustvoll oder grundlos, ganz nach dem Willen der Königin handelten.
Plötzlich konnte Dornröschen keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ja, es war
Absicht gewesen, aber war es nicht doch ein schrecklicher Irrtum?
    „Und du, Tristan?“ Ihre
Stimme zitterte, als sie das sagte, auch wenn sie sich bemühte, es zu verbergen.
„Hast du nicht auch in Absicht gehandelt und deinen Herrn erzürnt?“
    „Ja, Dornröschen, es stimmt.
Aber es gab Gründe für mein Tun“, antwortete Tristan.
    Dornröschen sah die
Besorgnis in seinem Blick und spürte die Angst, die auch er nicht zugeben
mochte.
    „Wie du weißt, diente ich
Lord Stefan. Aber niemand weiß, dass wir uns schon früher liebten - vor einem
Jahr und in einem anderen Land.“
    In seinen großen tiefblauen
Augen schimmerte ein fast trauriges Lächeln. Dornröschen stockte der Atem, als
sie seine Worte vernahm. Die Sonne erstrahlte längst hell am Himmel, und der
Karren schwankte so sehr auf der holprigen Straße, dass die Sklaven hart und
heftig gegeneinander geworfen wurden.
    „Du kannst dir meine
Überraschung vorstellen!“, fuhr Tristan fort, „als wir uns auf dem Schloss
wiederfanden, nur dieses Mal als Herr und Sklave. Und als dann die Königin, die
Lord Stefans Erröten bemerkte, mich ihm sofort überantwortete mit der
Anweisung, er solle persönlich für meine Ausbildung sorgen.“
    „Wie furchtbar“, sagte
Dornröschen. „Ihn gekannt zu haben, ihm Gefährte und Vertrauter gewesen zu
sein. Wie konntest du das nur ertragen?“
    All ihre Gebieter und
Gebieterinnen waren Fremde für sie gewesen, denen sie sich vom ersten Moment,
in dem sie ihre Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit erkannt hatte, unterworfen
hatte. Sie hatte die Farbe und das Material ihrer Schuhe und Stiefel, hatte den
scharfen Klang ihrer Stimmen kennengelernt, noch ehe sie ihre Namen erfuhr oder
ihnen ins Gesicht schaute. Tristan lächelte erneut geheimnisvoll.
    „Nun, ich glaube, für
Stefan war es weit schlimmer als für mich“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Wir
begegneten uns zum ersten Mal auf einem großen Turnier, kämpften gegeneinander,
und bei jedem Wettstreit, bei jedem Gang übertraf ich ihn. Als wir gemeinsam
auf die Jagd gingen, war ich der bessere Reiter und der treffsicherere Schütze.
Er bewunderte mich und schaute zu mir auf; und ich liebte ihn dafür. Kannte ich
doch seinen Stolz, der allein durch die Liebe gebändigt wurde. Als wir ein Paar
wurden, war ich der Überlegene. Doch wir mussten zurückkehren in unsere
Königreiche. Zurück zu den Pflichten, die uns erwarteten. Drei Liebesnächte
stahlen wir uns, in denen er sich mir ergab wie ein Knabe einem Mann. Den
Nächten folgten Briefe, doch es schmerzte zum Schluss zu sehr, dass wir uns nur
schreiben konnten. Dann kam der Krieg. Schweigen. Stefans Königreich verbündete
sich mit dem der Königin. Und bald darauf standen ihre Armeen vor unseren
Toren, und schließlich begab sich unser sonderbares und befremdendes
Zusammentreffen im Schloss der Königin: Auf den Knien erwartete ich mein
Schicksal, meinem Herrn übergeben zu werden, und Stefan, der Junge Verwandte
der Königin, saß schweigend zu ihrer Rechten an der Banketttafel.“
    Erneut lächelte Tristan. „Nein,
für ihn war es schlimmer. Ich gestehe ein, dass ich vor Scham errötete, doch mein
Herz schlug höher, als ich ihn erblickte. Aber ich habe triumphiert, weil ich
ihn aus Trotz
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