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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
Autoren: Gunnar Staalesen
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Mein Gesicht befand sich ungefähr in Höhe seines Schlipses, und ich versuchte, so treu ich konnte, zu ihm aufzusehen. Seine Augen sahen aus wie grüne, schrumpelige Rosenkohlköpfe und seine Nase wie etwas, auf das schon viele draufgetreten waren. Als er sprach, klang es, als hätte er den Mund voller Brei. Er sagte: »Ruf den Chef an – und frag ihn.«
    Der kleine Bruder schloss die Tür auf und ging raus.
    Der große Bruder bewegte sich noch ein Stückchen. Ich versuchte mich zu bewegen, aber er klatschte einen Schinken von einer Faust gegen meine Schulter. »Bleib stehen!«
    Dann machte er ein paar Schritte ins Zimmer. Er schielte auf Lisa hinunter und sah zufrieden aus. »Zeig dich mal«, sagte er.
    Sie hielt die Decke vor sich. Ihre Augen waren groß geworden.
    Er machte eine schnelle Bewegung und riss ihr die Decke vom Leib. Sie saß in derselben Haltung da, hatte aber nichts mehr, hinter dem sie sich verbergen konnte, nur ihre dünnen, nackten Arme unter dem Kinn. Wie sie so dasaß, war sie weniger Mädchen und ein bisschen mehr Frau. Ihre Brüste bewegten sich schwach, wenn sie atmete. Und sie atmete – schwer und langsam.
    Er lächelte. »Na also. Was hältst du davon, von mir ans Bett genagelt zu werden? Ich würde – dich mit meinem Ding aufspießen, dass du die nächsten Wochen nicht einmal mehr an Männer denken könntest. Na?« Es lag ein merkwürdiges Leuchten in seinem Gesicht, etwas Jungenhaftes, als sei er in seiner Entwicklung irgendwo stehen geblieben. »Ich würde dich auf meiner Fahnenstange auf halbmast flaggen.«
    Ich versuchte, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und sagte: »Ist jemand gestorben?«
    Er sah mich an. »Noch nicht.« Und wieder zu Lisa gewandt sagte er: »Wir kümmern uns nur erst um diesen Schwächling hier. Wie möchtest du sterben, Norweger? Wir kennen viele schöne Varianten.«
    »Erzähl mir davon«, sagte ich.
    Lisa hatte eine Gänsehaut am ganzen Körper. Sie sah aus, als würde sie die ganze Reise bedauern. Das tun die meisten nach einer Weile. Ihre Brüste ähnelten hilflosen Hundewelpen und das kleine Küken zwischen ihren Beinen war einen allzu frühen Tod gestorben. Ihre Schenkel waren dünn wie Unterarme, und auf der Innenseite erkannte man große blaue Flecken von stumpfen Nadelspitzen.
    »Im Kanal«, sagte der große Bruder. »Das ist am einfachsten. Wir klopfen dir einfach mit was Schwerem auf den Kopf …« Er hielt eine Hand hoch, um mir etwas Schweres zu zeigen. »Und wenn es dunkel ist, schmeißen wir dich in den Kanal, und wenn du aufwachst, ist es kalt und dunkel um dich herum, und du bist tot.« Er erzählte fast im Telegrammstil, aber er bekam das Wichtigste mit.
    »Oder wir nehmen die Hackfleischmethode. Einer von unseren Bekannten arbeitet als Putzhilfe in einer Wurstfabrik.« Er lächelte wieder.
    »Ich möchte nur mit Ketchup«, sagte ich dünn.
    »Und dann gibt es noch die Schatzsuchermethode. Wir graben dich irgendwo im Wald ein und schauen, wie lange es dauert, bis dich jemand findet. Meistens sind es ein paar Jahre.«
    Lisa piepste vom Bett her. »K-k-kann ich mich anziehen?«
    Er sah sie an, noch einmal – und ich stieß mich mit dem Fuß an der Wand ab, krümmte den Nacken und zielte mit dem Kopf auf seinen Bauch. Er bewegte sich ein paar Zentimeter, hob mich vom Boden auf und schmiss mich wieder an die Wand. Ich fiel zu Boden und blieb liegen. Irgendetwas tat weh, aber das Ganze ging so schnell, dass es eine Weile dauerte, bis mir klar wurde, dass es mein Arm war. Sicherheitshalber blieb ich liegen.
    Der große Bruder lächelte. »Und dann haben wir noch die An-die-Wand-klatsch-Methode. Die ist auch ganz nett, aber ein bisschen langweilig. Sie dauert so lange.«
    Ab und zu – besonders in solchen Augenblicken – frage ich mich: Was hat dich eigentlich dazu bewogen, so was Bescheuertes wie Privatdetektiv zu werden? Warum hast du dir nicht einfach einen Job in einem Büro gesucht, wo du sitzen und Briefe in Umschläge und Notizen in die Schublade und Anträge in den Papierkorb schieben könntest? Warum hast du dir nicht einen Job beim Straßenbauamt gesucht, dann hättest du den Rest deines Lebens damit zubringen können, Löcher in Straßen zu schlagen und sie wieder zuzumachen. Was hat dich dazu verleitet, ein Leben als fliegender Torpedo zu wählen, als lebendiger Punchingball, öffentlicher Spucknapf und Clown für die Armen? – Aber ich bekomme nie eine Antwort. Es kommt immer irgendjemand zu irgendeiner Tür herein.
    Die Tür
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