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Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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gerecht!»
    Isabel wendet Margaret den Rücken zu, die die Bänder ihres Kleids aufschnürt und es so tief hält, dass Isabel heraussteigen kann, herablassend, wie die Königin, die sie eben noch gespielt hat. Margaret legt das Kleid über einen Stuhl, damit es am Morgen ausgebürstet werden kann, und Isabel zieht sich ein Nachthemd über den Kopf und lässt sich von Margaret die Haare kämmen und flechten.
    Ich hebe mein gerötetes Gesicht vom Kissen. Isabel sieht meine großen traurigen Augen und sagt barsch: «Du solltest sowieso schlafen. Du weinst immer, wenn du müde bist. Man hätte dir gar nicht erlauben sollen, am Abendessen teilzunehmen.» Sie sieht Margaret an, eine erwachsene Frau von zwanzig Jahren. «Margaret, sag es ihr.»
    «Schlaft, Lady Anne», sagt Margaret freundlich. «Es gibt keinen Grund, noch Theater zu machen.» Ich rolle mich auf die Seite und kehre das Gesicht zur Wand. Margaret sollte nicht so zu mir sprechen, sie ist die Kammerzofe meiner Mutter und unsere Halbschwester und sollte netter zu mir sein. Niemand behandelt mich mit dem geringsten Respekt, und meine Schwester hasst mich. Die Seile des Betts knarren, als Isabel sich zu mir legt. Niemand ermahnt sie, ihre Gebete zu sprechen, obwohl sie gewiss in die Hölle kommt. «Gute Nacht», sagt Margaret. «Schlaft gut. Gott segne Euch.» Dann pustet sie die Kerze aus und verlässt das Zimmer.
    Wir bleiben allein im Licht des Kaminfeuers zurück. Isabel zieht die Bettdecke auf ihre Seite, und ich liege still da.
    Sie flüstert voller Bosheit: «Du kannst die ganze Nacht plärren, wenn du willst, aber ich werde trotzdem Königin von England und du nicht.»
    «Ich bin eine Neville!», piepse ich.
    «Margaret ist auch eine Neville», hält Isabel dagegen. «Aber illegitim, Vater hat sie als Bastard anerkannt. Also dient sie als Kammerzofe, und sie wird einen respektablen Mann heiraten, während ich mindestens mit einem wohlhabenden Herzog vermählt werde. Wenn ich es recht bedenke, dann bist du wahrscheinlich auch illegitim, und dann musst du meine Kammerzofe sein.»
    Ein Schluchzen steigt in meiner Kehle auf, doch ich presse mir beide Hände auf den Mund. Ich gewähre ihr nicht die Befriedigung, mich weinen zu hören. Ich unterdrücke meine Schluchzer. Wenn ich es könnte, würde ich aufhören zu atmen. Dann müsste sie meinem Vater schreiben und ihm berichten, dass ich kalt und tot bin, und es würde ihr leidtun, dass ich wegen ihrer Unfreundlichkeit erstickt bin, und mein Vater – der heute Abend weit fort ist – würde ihr Vorwürfe machen, weil er sein kleines Mädchen verloren hat, das er mehr geliebt hat als alle anderen. Jedenfalls sollte er mich mehr lieben als alle anderen. Jedenfalls wünsche ich mir das.

L’Erber, London

Juli 1465
    I ch weiß, dass etwas Außergewöhnliches geschieht, denn Vater, der zurück in England ist, in unserem prächtigen Haus in London, lässt seine Wache im Hof antreten und seinen Standartenträger, und die Edelleute seines Haushalts bringen ihre Pferde aus den Ställen und reihen sich auf. Unser Haus ist so herrschaftlich wie ein königlicher Palast. Mein Vater hat über dreihundert Männer unter Waffen, die seine Livree tragen, und nur der König befehligt mehr Diener. Mancher sagt, unsere Männer seien besser ausgebildet und disziplinierter als die des Königs; besser ernährt und ausgerüstet sind sie auf jeden Fall.
    Ich warte an der Tür zum Hof, durch die Vater herauskommen wird, dann sieht er mich vielleicht und erzählt mir, was los ist. Isabel ist oben im Zimmer und bekommt Unterricht, und ich gehe sie nicht holen. Dieses eine Mal kann Isabel meinetwegen die ganze Aufregung verpassen. Ich höre die Reitstiefel meines Vaters auf den Steinstufen, wende mich um und sinke in einen Knicks, um seinen Segen zu empfangen, doch zu meiner Verärgerung ist meine Mutter bei ihm, und ihre Hofdamen folgen ihr, darunter auch Isabel. Sie streckt mir die Zunge raus und grinst.
    «Und hier ist mein kleines Mädchen. Willst du dabei sein, wenn ich hinausreite?» Mein Vater legt mir zum Segen behutsam die Hand auf den Kopf und beugt sich hinunter, um mir ins Gesicht zu sehen. Er ist so groß und eindrucksvoll. Als kleines Mädchen dachte ich, seine Brust sei aus Eisen, denn ich sah ihn immer nur in Rüstung. Jetzt lächelt er mich an, und seine dunkelbraunen Augen schimmern unter dem glänzend polierten Helm. Sein dichter brauner Bart ist ordentlich gestutzt – das Ebenbild eines mutigen Soldaten, eines
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