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Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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lässt. Wir warten an der Tür, dass er uns bemerkt. Wie wunderbar, ein Mann zu sein und seine Initiale unter einen Befehl zu setzen und zu wissen, dass ihm augenblicklich Folge geleistet wird. Ich würde den ganzen Tag Befehle erteilen, aus purem Vergnügen.
    Als der Schreiber die Papiere fortnimmt, blickt mein Vater auf, sieht uns und deutet eine kleine Verneigung an. Wir treten vor und knicksen, wie es uns geziemt, und mein Vater hebt die Hand zum Segen. Dann schiebt er seinen Stuhl nach hinten und ruft uns zu sich. Er streckt die Hand nach mir aus, und als ich näher trete, tätschelt er mir den Kopf, wie wenn ich Midnight wäre, sein Pferd. Dies ist kein besonders schönes Gefühl, denn er hat eine schwere Hand, und ich trage eine Haube aus steifem Goldgewebe, die bei jeder Berührung zerdrückt wird. Isabel bittet er nicht vorzutreten. Bestimmt steht sie unbeholfen da und beobachtet uns. Lächelnd wende ich mich um, weil die Hand unseres Vaters auf mir ruht und ich diejenige bin, die sich an seinen Stuhl lehnt, und tue so, als fühlte ich mich wohl und wäre nicht erschrocken über diese Gunstbezeigung.
    «Seid ihr gute Mädchen und lernt fleißig?», fragt er unvermittelt.
    Wir nicken. Wir sind unleugbar gute Mädchen und lernen jeden Vormittag mit unserem Lehrer – am Montag Logik, am Dienstag Grammatik, am Mittwoch Rhetorik, am Donnerstag Französisch und Latein und am Freitag Musik und Tanz. Der Freitag ist natürlich der schönste Tag der Woche. Die Jungen haben ihren Lehrer für Griechisch und bekommen Unterricht bei einem Waffenmeister, lernen das Tjosten und wie man ein Breitschwert führt. Richard ist ein guter Schüler und arbeitet hart an seiner Kampfkunst. Isabel ist mir in ihren Studien weit voraus und hat nur noch ein Jahr Unterricht, bis sie fünfzehn ist. Sie sagt, in Mädchenköpfe geht Rhetorik nicht hinein und dass ich dann ganz allein auf mich gestellt bin und sie mich erst wieder hinauslassen, wenn ich am Ende des Übungsbuches angekommen bin. Die Aussicht, ohne Isabel im Schulzimmer gefangen zu sein, ist so trostlos. Und während die Hand meines Vaters schwer auf meiner Schulter ruht und er mir freundlich gesinnt zu sein scheint, überlege ich, ihn vielleicht zu fragen, ob ich nicht auch auf den Unterricht verzichten kann. Ich blicke in sein ernstes Gesicht und denke: Besser nicht.
    «Ich habe nach euch geschickt, weil die Königin darum gebeten hat, dass ihr beide euch ihrem Haushalt anschließt», sagt er.
    Isabel schnappt vor Aufregung nach Luft, und ihr rundes Gesicht wird rosa wie eine reife Himbeere.
    «Wir?», frage ich verwundert.
    «Es ist eine Ehre, die euch wegen eurer Stellung in der Welt als meine Töchter zuteilwird, aber auch wegen eures Betragens bei Hofe. Sie hat gesagt, dass du, Anne, bei ihrer Krönung besonders bezaubernd warst.»
    Bei dem Wort «bezaubernd» kann ich einen Augenblick lang an nichts anderes mehr denken. Die Königin von England, auch wenn sie Königin Elizabeth ist und nur eine Elizabeth Woodville war, mehr oder weniger ein Niemand, findet mich bezaubernd. Und sie hat meinem Vater gesagt, dass ich bezaubernd bin. Mir schwillt die Brust vor Stolz, und ich wende mich meinem imposanten Vater zu und schenke ihm ein, wie ich hoffe, bezauberndes Lächeln.
    «Sie findet ganz zu Recht, dass ihr eine Zierde für ihre Gemächer wärt», sagt er.
    Ich konzentriere mich auf das Wort «Zierde». Was die Königin damit wohl meint? Dass wir ihre Gemächer schmücken sollen, damit sie hübsch aussehen – wie Wandteppiche, die man über schlecht getünchte Wände hängt? Müssen wir die ganze Zeit reglos am selben Platz stehen? Soll ich eine Art Vase sein? Mein Vater lacht über mein verdutztes Gesicht und nickt Isabel zu. «Sag deiner kleinen Schwester, was sie tun muss.»
    «Sie meint als Kammerfräulein», zischt sie mir zu.
    «Oh.»
    «Was sagt ihr?», fragt mein Vater.
    Was Isabel denkt, kann er leicht erkennen, denn sie atmet flach vor lauter Aufregung, und ihre blauen Augen funkeln. «Ich wäre entzückt», antwortet sie und sucht nach Worten. «Es ist eine Ehre. Eine Ehre, die ich nicht erwartet hatte … Ich nehme sie an.»
    Er sieht mich an.
    «Und du, Kleine? Meine kleine Maus? Bist du begeistert wie deine Schwester? Willst du auch unbedingt der neuen Königin dienen? Möchtest du sie umschwärmen wie die Motten das Licht?»
    Sein warnender Unterton macht deutlich, dass dies die falsche Antwort wäre, obwohl ich mich an die Königin erinnere wie ein
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