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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss
Autoren: Bettina Belitz
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ausgeglichensten Menschen aus der Fassung bringen mussten, im Wohnzimmer und pinkelte anschließend die Tür des Wintergartens voll. Außerdem schien es im Keller Streit um das Katzenklo zu geben. Die Hälfte der Hinterlassenschaften landete einen halben Meter neben der Plastikschale, bestäubt mit Einstreu, die während der Revierrangeleien um den angestammten Kackplatz im gesamten Keller verteilt wurde. Vor lauter Stress hatte Rufus auch noch Durchfall bekommen.
    Mama freute sich, dass endlich wieder Action im Hause Sturm war, doch nachdem wir das Frühstück appetitlos und mit gerümpfter Nase zugebracht hatten, entschied sich Gianna den Tränen nahe, Rufus in die Freiheit zu entlassen. Er stapfte über den Rasen, als verätzten die grünen Halme seine empfindlichen Pfoten, und verhedderte sich gleich beim ersten Ausflug im Zaun unseres Nachbarn, wo er in eine Art Schockstarre fiel und jämmerlich weinte. Gianna und ich mussten Hausfriedensbruch begehen, um ihn zu befreien.
    Doch langsam schienen Rufus und Mister X sich zu arrangieren. Zumindest hatten heute Morgen keine größeren Fellbüschel mehr auf der Einfahrt gelegen.
    »Ja, Mama ist okay«, gab ich zu. »Und du – gibt es bei dir denn keine Mutter?« Himmel, was für eine blöde Frage.
    »Keine, zu der ich mit meinen Sorgen gehen könnte«, antwortete Gianna in einem Ton, der mir jedes weitere Bohren untersagte. Ihre Mutter war also tabu. Und leider hatte sie mit dem, was sie über unsere Situation sagte, recht, ohne zu ahnen, wie recht sie hatte. Auch wenn es nicht so aussah, wartete Mama wahrscheinlich insgeheim ebenso sehnlich auf Papa wie ich. Außerdem warteten Mama und ich auf Paul, genau wie Gianna. Ich selbst wartete sogar insgesamt auf vier Männer: Papa, Paul, Tillmann und Colin. Papa strich ich in Gedanken gleich wieder von der Liste. Selbst wenn Papa auftauchte, würde sich an meiner Warterei auf die anderen Männer nichts ändern. Denn damit wäre nur eine Aufgabe gelöst. Für die zweite hatten wir immer noch keine Lösung parat. Und obwohl ich Tag und Nacht das Internet durchkämmte, wusste ich, dass wir nur mit Colins Erscheinen aktiv werden konnten. Alles andere war eine vage Vorbereitung, mehr nicht.
    Ja, es war so, wie Gianna sagte. Wir waren handlungsunfähig. Immerhin wollten Paul und Tillmann sich bald auf den Weg zu uns machen, vielleicht morgen schon. Doch das nützte alles nichts, solange Colin uns keine Botschaft überbrachte.
    »Hast du eigentlich mal was von Colin gehört?«, erriet Gianna meine Gedanken. »Weißt du, ob er es geschafft hat?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich meine – du hattest auch keine … ähm …« Gianna schien die Worte mit der Pinzette auszuwählen und einzeln zu begutachten, bevor sie entschied, sie zu benutzen. »Keine … Eingebungen?«
    Eingebungen. Haha. Meine letzte Eingebung hatte darin bestanden, Grischa eine Mail zu schreiben, die mindestens ebenso wirr ausgefallen war wie der Brief, den ich ihm damals in der Schule geschickt hatte. Dieses Mal aber hatte ich immerhin eine Botschaft mitzuteilen. Ich berichtete, dass ich von ihm geträumt hatte und er in diesem Traum meine Hilfe brauchte und dass dieser Traum so eindringlich gewesen war, dass … Ja, dass. Ab dieser Passage verlor ich mich in Gedankenpunkten und Fragezeichen. Denn ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wobei Ellie Sturm jemandem wie Grischa Schönfeld helfen konnte. Wie konnte ich hoffen, dass er überhaupt daran dachte, mir zu antworten? Bis auf diese merkwürdige Episode mit der Mail, ausgelöst durch einen melancholischsüßen Grischa-Traum wie in meinen besten Teenagerzeiten, war mein Dasein eingebungsfrei geblieben.
    Sollte ich Gianna jetzt schon in meine Recherchen einweihen? Würde das etwas ändern? Immerhin hatte sie Geschichte und Literatur studiert. Und sie dachte darüber nach, was mit Colin geschehen sein konnte, ob er zurückkam. Doch obwohl ich schon den Mund geöffnet hatte und sie mich gebannt anstarrte, hielt ich inne und sagte nichts. Nein, besser war es, noch zu warten. Es würde ohnehin schwierig werden, sie von unseren Mordplänen zu überzeugen, denn Gianna hatte wie Paul Tessa nie zu Gesicht bekommen, sie konnte nicht wissen, was für eine Ausgeburt des Grauens sie war. In Hamburg hatten Tillmann und ich Gianna eines Abends überrumpelt, als wir ihre Hilfe gebraucht hatten, um Paul zu retten, und es hatte funktioniert. Es war geschickter, wenn wir sie auch dieses Mal überrumpelten, sobald es so weit
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