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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman
Autoren: script5
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musst es tun, so wie du es immer getan hast, denn in deinen Augen habe ich deine Gefühle gesehen, sie waren da!«
    Hatte er mir nicht einst selbst gesagt, er sei ein fühlendes Wesen? Nur eine Lüge? »Ein fühlendes Wesen«, hatte er nach einer Pause geantwortet, als ich ihn gefragt hatte, was in Gottes Namen er sei. Doch mein Gedächtnis erinnerte sich plötzlich ebenso deutlich an den Zusatz, den er angefügt hatte. »Und das ist keine Selbstverständlichkeit.« Er hatte nur gefühlt, weil ich fühlte … so furchtbar viel fühlte …
    »Es waren deine Gefühle, Lassie«, las Colin ein letztes Mal meine Gedanken. »Nicht meine. Wenn du meine Gefühle gesehen hast, hast du dich gesehen. Nur dich. Ich war dein Spiegel … Du hast dich selbst erblickt und geliebt. Es ist schön, dass du das getan hast, aber du brauchst einen Mann mit Charakter … du … du …« Ein schwaches Seufzen stahl sich aus seinem geöffneten Mund. Verzweifelt küsste ich ihn. Er reagierte nicht mehr auf mich, seine Worte erklangen nur noch in meinem Kopf. »Ich konnte es dir nicht sagen, weil du mich verlassen hättest, und dann …«
    »Hätte ich dich nicht mehr töten können, ich weiß schon«, erwiderte ich, wissend, dass das nicht der einzige Grund gewesen war. Meine Gegenwart hatte ihn zum Menschen werden lassen. »Du kannst gar nichts fühlen? Ich glaube das nicht …«
    »Doch. Ich kann. Hass, Zorn, Wut, Neid, Raffgier, Mordlust, Eifersucht … alles Schlechte … aber das Gute fällt mir schwer … nur durch dich und mein Pferd floss es auch in mich … fand ab und zu in mir ein Zuhause … Und jetzt – jetzt habe ich meinen Seelenfrieden. Und du bekommst deinen … Lassie, ich … ich …«
    Es gelang ihm nicht, seinen Satz zu Ende zu führen, nicht einmal in meinem Kopf. Alles in ihm wurde still und stumm, doch in sein Gesicht schlich sich ein Ausdruck, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte, nicht einmal, wenn er meditiert hatte.
    Es war vollkommener Frieden.
    Meine Arme gaben nach. Ich konnte mich nicht mehr halten. Ich fiel auf seine starre Brust und streichelte seine Arme und seine Wangen, küsste seinen Hals, seine geschlossenen Lider, ich wollte ihn nicht gehen lassen, obwohl ich langsam zu begreifen begann, was er mir gesagt hatte. Es erklärte alles. Alles. Es erklärte, warum ich mich immer so verstanden bei ihm gefühlt hatte, warum er nicht auf seine eigenen Bedürfnisse achtete, wenn wir miteinander schliefen, ja, es hatte ihm genügt, mich anzusehen, sich auf mich einzulassen, um darin eintauchen zu können, was mich bewegte … Es erklärte, warum er sein Gesicht verloren hatte, als ich mich Angelo zugewendet hatte und ihn vergaß. Ich hatte ihn nicht mehr angeblickt, nichts mehr für ihn empfunden.
    Aber es machte mir nichts aus, das zu wissen. Es erzürnte mich nicht, brachte mich nicht einmal aus der Fassung. Durch ihn waren meine überschäumenden Gefühle wenigstens für etwas gut gewesen. Ich hatte sie teilen können. Er hatte mich damit entlastet. Was gab es Schöneres, als sie zu teilen?
    Und außerdem irrte er sich. Colin irrte sich, wie nur ein Mensch sich irren konnte. Wenn er nichts gefühlt hätte, hätte ich ihn niemals töten können.
    Ich wusste nicht, ob er mich noch wahrnehmen konnte, denn sein Körper lag leblos unter mir und sein Gesicht verriet keine Regung mehr, obwohl es mir beseelter erschien als je zuvor. Ja, es leuchtete … Doch vielleicht gab es ein Zwischenreich, in dem ich ihn erreichen konnte, für wenige Minuten, das Reich, in dem auch mein Vater während seines Todes von Morpheus umfangen worden war und seine Gefühle mit ihm geteilt hatte. Ich musste es versuchen, er musste wissen, was ich ihm zu sagen hatte. Denn er irrte so sehr.
    »Colin, du bist kein Niemand. Du hast Charakter! Du hast sogar mehr Charakter als die meisten anderen Männer, denen ich bisher begegnet bin. Du hast Entscheidungen getroffen, wichtige Entscheidungen. Vor allem hast du gegen dein Schicksal aufbegehrt, ungeachtet dessen, dass es dich unentwegt Kraft gekostet hat und du immer wieder fliehen musstest – das zeugt von Charakter! Du hast ein Pferd an deine Seite geholt, obwohl es Wesen wie dich eigentlich scheut, und es vertraut dir. Du hast Humor, ich liebe deinen Humor! Jemand ohne Charakter hat keinen Humor oder klaut ihn sich, aber deiner ist einzigartig. Du hast immer wieder Arbeit gesucht und angenommen, du hast dir ein Zuhause geschaffen, selbst in der Einöde, du hast an
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