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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman
Autoren: script5
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Begegnung erinnere. Lass mich dich nur ansehen, bitte.«
    Ich weinte, ohne zu schluchzen, als er sich das Hemd und dann die Hose von seinem schlanken, sehnigen Körper streifte, dessen Schatten sich pechschwarz auf der Höhlenwand abzeichnete.
    Nackt saßen wir uns gegenüber und sahen uns an, um uns einzuprägen, was wir niemals vergessen wollten, doch auch diese Bilder würden nicht zu halten sein. Irgendwann würden sie sich verfremden und er würde mir entgleiten, sein schwarzer Blick, in dem ich mich wiedergefunden hatte, seine wilden, widerspenstigen Haare, sein Lachen, so unverhofft schön und klar, dass es mich immer wieder überrascht hatte. Es war nicht zu halten …
    Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen.
    Was änderte es, wenn ich sagte, dass ich ihn liebte? Was änderte es, wenn ich ihn in mir spürte? Was änderte es, wenn ich ihn mir einprägte, wo das Gedächtnis der Menschen doch so schnell seine eigenen Bilder zu zeichnen begann? Was war überhaupt wirklich und wahrhaftig von dem, was wir in unserem Leben sahen? Trug ich ihn nicht schon längst in meinem Herzen?
    Wie ein Kind kroch ich aus der Höhle, als der Morgen nahte und die Schatten blasser wurden, krabbelte auf allen vieren durch den Wald, zu schwach für den aufrechten Gang, wimmernd und keuchend, als würde ich von meinem eigenen Mörder verfolgt werden.
    Dabei war ich diejenige, die mich vernichten würde.

D ER F UNKE L EBEN
    »Er kommt.« Tillmanns Schultern bebten. Seine Hände wussten nicht, wohin. In ihrer Not hielten sie sich an mir fest. »Ellie …« Er weinte. »Er kommt. Ich muss jetzt gehen.«
    »Ja. Dann geh. Oh Gott, Tillmann …«
    Wir klammerten uns aneinander fest, bis wir uns wehtaten.
    »Er ist mein Freund, verstehst du? Mein Freund. Ich mag ihn so sehr …« Tillmann zog die Nase hoch. Spürte er, dass er richtig weinte, mit echten Tränen? »Ich hab ihn immer bewundert und respektiert, was soll ohne ihn aus uns werden? Was?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich tonlos und strich über seine erhitzten, nassen Augen. »Aber wir sind ihm das schuldig. Ich bin es ihm schuldig. Er hat mich immer wieder gerettet und jetzt muss ich ihn retten. Ich höre ihn, du musst verschwinden … schnell … Sonst wird es zu gefährlich für dich.«
    Ich schob ihn von mir weg, obwohl sich seine Hände erneut nach mir ausstreckten. Ich musste daran denken, wie sie über Colins Gesicht getastet hatten, andächtig und zart. Ja, ich nahm ihm seinen besten Freund.
    »Okay.« Tillmann schluckte und versuchte, sich zusammenzunehmen. »Ich verschwinde durch die Hintertür. Hier ist die Fernbedienung.«
    Wir zuckten beide voreinander zurück, als wir ihn von draußen rufen hörten. Er schrie meinen Namen. Tief und hohl schallte seine Stimme durch die warme Abendluft. »Elisabeth!« Sirrend stoben die Fledermäuse auseinander. Die Zeit drängte. Er würde nicht vor dem Haus stehen bleiben. Er würde mich heimsuchen.
    »Drücke den grünen Knopf, sobald er drinnen ist, ja? Den grünen Knopf. Dann geht es von allein los.«
    »Hau ab, Tillmann, lauf durch den Garten und über die Bahnschienen, mach schon!«
    Heulend stolperte er zur Tür. Dann hörte ich, wie seine Schritte die Treppe hinabjagten. Ich stieß die Flügeltüren des Dachzimmers auf, betrat den Balkon und schaute nach unten, wo Colin mit zerzaustem Haar und vom Wahnsinn gezeichneten Blick über die einsame, staubige Straße schritt. Sein Hemd hing zerfetzt an seinem Körper, weil er es in seiner aussichtslosen Suche zerrissen hatte, seine Wangen waren totenbleich. Scharf und dunkel zeichneten sich seine Knochen darunter ab.
    »Wo ist mein Pferd? Wo ist Louis?«, brüllte er zu mir hoch. »Ich habe ihn seit zwei Tagen nicht gesehen. Er ist weg. Weg!« Er schlug sich die geballte Faust ins Gesicht. »Wo ist Louis?«
    Mit verschränkten Armen starrte ich auf das Bündel Elend hinab.
    »Elisabeth, rede mit mir. Wo ist er?«, schrie Colin.
    »Nicht hier«, sagte ich kalt. »Ich weiß nicht, wo er ist.«
    »Das ist nicht wahr, du lügst! Du lügst!«
    Er riss das Tor beinahe aus der Verankerung, als er es öffnete und mit fliegenden Schritten die Stufen hoch zur Terrasse nahm. Ein eisiger Lufthauch drang zu mir. Ich roch den Tod. Er war so stark.
    Ich ging zurück ins Haus, um ihm entgegenzukommen. Erst nahm ich den Dolch in die rechte Hand, dann hob ich die Fernbedienung mit der linken auf, hielt sie in die Luft und drückte den grünen Knopf.
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