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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman
Autoren: script5
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Ich hatte keine Ahnung, was jetzt geschehen und was wir erleben würden. Ich hatte Tillmann blind vertraut und mich hier oben verschanzt, seitdem ich aus dem Wald zurückgekehrt war, um zu warten. Bis vor wenigen Minuten hatte er daran gearbeitet, dann war er vor Erschöpfung und Schlafmangel beinahe zusammengebrochen. Doch er hatte es vollenden können.
    Mein Herz begann zu bluten, als der Gesang und die Streicher einsetzten und Colin mit roher Gewalt gegen die Tür hieb. Tillmann hatte auf der Musik bestanden. Musik, die durch alle Räume wehte und den Schmerz vervielfachen würde, falls er zu belanglos war. Doch das war er nicht.
    »Wo ist mein Pferd?« Krachend gab das Schloss nach. Die Eingangstür schwang auf und fiel durch die Wucht seiner Schläge sofort wieder zu. Wir waren miteinander gefangen.
    Wie eine Scharfrichterin, den Dolch in der Hand, trat ich auf die oberste Treppenstufe. Colin konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Schwer atmend sah er sich um, doch es gab keinen Ausweg vor dem, was wir erblickten. Schatten überall, auf dem Boden, den Wänden, der Decke, schwarzgraue Schatten, die ihm seine Seele zerfetzen würden. Und meine dazu.
    »Nein …«, drang es aus seiner Kehle, als er erkannte, was sie uns zeigten. Es war Louis – Louis, der wiehernd versuchte, zu fliehen und den Quälereien zu entkommen, er blutete schon, es sprudelte in Fontänen aus seinem Hals und seinen Beinen, dann Großaufnahme von seinen vor Angst geweiteten Augen, in denen das Weiße blitzte. Er schrie nach seinem Herrn, warum war er nicht da, um ihm zu helfen? Warum hatte er ihn im Stich gelassen?
    Wieder erhob Tillmann das breite, besudelte Schlachtermesser, sein Grinsen in irrsinnigem Hass verzerrt, die Pupillen geweitet und starr. Brutal schob er es in Louis’ muskulösen Hals, obwohl das Pferd schon mit verzweifelt schlagenden Hufen am Boden lag und nicht mehr aufstehen konnte.
    Dann Schnitt auf Angelo und mich, zusammen am Strand, die Sonne schien auf unsere Haut. Ich lachte und schaute bewundernd zu ihm auf, Schnitt auf Louis’ zerstörten Kopf, seine Augen im Todeskampf, sein Maul geöffnet, weil er wieherte, ein letztes Mal, hören konnte man ihn nicht, da die Musik alles übertönte. Lacrimosa … dies illa … qua resurget ex favilla … iudicandus homo reus. Tränenreich, jener Tag, an dem der Mensch als Angeklagter aus der Glut aufersteht. Nur ich hatte noch die Macht, mich darüber zu erheben.
    »Was habt ihr getan?«, rief Colin. Seine Stimme brach.
    »Ach, ich konnte ihn noch nie leiden. Du hast ihn mir immer vorgezogen. Ich wollte ihn loswerden. Er hat mich gestört. Ich wollte dich für mich allein.«
    Ich schritt die Treppe hinunter, im Takt zu den wechselnden Bildern von Louis’ Todeskampf, unterbrochen nur von Angelo und mir. Nahaufnahme unserer Hände, deren Finger ineinander verschlungen auf dem Sand lagen, dann Close-up auf unsere Lippen, wie sie sich näherten, nur noch wenige Millimeter zwischen uns. Mein nackter Rücken, bedeckt von meinem langen, lockigen Schlangenhaar, sein Arm um meine Hüfte …
    »Natürlich habe ich mit Angelo geschlafen, was denkst du denn?« Ich lachte hämisch auf. »Wie hätte ich es nicht tun können? Er ist schön und satt, ganz im Gegensatz zu dir. Sei nicht so naiv, Colin!«
    Jetzt war ich unten angekommen, stand ihm gegenüber und hob langsam den Dolch. Ich hob ihn nur, mehr nicht, und trat vorsichtig einen Schritt rückwärts, Angelos strahlende Augen auf meinem Gesicht und meinem weißen Kleid. Ich war Teil der Schatten geworden, gehörte dazu, und er glaubte mir alles. Er glaubte alles.
    Mit dem gereckten Dolch, dessen Spitze auf seine Brust zielte, lockte ich ihn rückwärts in das letzte, das einzig schöne Zimmer des Hauses, wo ich das Himmelbett für uns hergerichtet hatte, schneeweiße Laken, schneeweiße Kissen, schneeweißer Baldachin; nur so blieben die Schatten bei uns. Wie im Tanz drehten wir uns um uns selbst. Er würde mich sehen, wenn er starb, mich und Angelo, vereint in unserem Kuss. Louis starb bereits. Seine Hufe zuckten nur noch im Reflex, sein Kopf lag in seinem eigenen Blut, das sich immer weiter ausbreitete und zu Angelos Pupillen wurde, übergroß, ein schwarzes Nichts …
    Colin sank auf das Bett, das Gesicht dicht vor mir, seine Augen glühend vor Schmerz und Hass, sein Mund nur noch ein Strich. Ich holte weit aus und merkte bereits im Schwung, dass ich es nicht tun konnte, nein, ich konnte es nicht tun, es ging nicht, ich würde
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