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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman
Autoren: script5
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Bösartigkeit um ein Vielfaches übertraf.
    »Aber wir haben ihn besiegt. Wir haben ihn besiegt!«, murmelte ich in meine Faust, auf deren Knöcheln ich in meiner Anspannung wie ein Kaninchen herumnagte. »Es ist möglich …«
    Tot war François nicht. Nur raubunfähig. Aber das genügte, damit er keinen Schaden mehr anrichten konnte, und war für ihn eine größere Strafe, als ihn umzubringen. Auf ewig hungrig. Eine andere Chance hatten wir nicht gehabt. Wegen seines geringeren Alters war Colin nicht in der Lage gewesen, ihn im Kampf vollends zu töten.
    Doch bei Tessa konnten wir uns solche Spielereien nicht erlauben. Niemals würde Colin so viel Wut und Zorn in mir heranzüchten können, um sie damit zu vergiften. Tessa war selbst voller Gift. Außerdem war ich nicht mehr bereit, als Brutstätte für schlechte Gefühle zu dienen. Schlechte Gefühle hatte ich von ganz alleine genug und leider überwältigten sie mich meistens dann, wenn ich versuchte, mich von den Strapazen meiner sinnlosen Recherchen zu erholen. Wie jetzt.
    Meine Vorfreude auf ein paar dösige Sonnenstunden im Garten war auch an diesem Nachmittag eine trügerische Angelegenheit gewesen. Sie war es jedes Mal. Zu schnell konnte sie in Gereiztheit und Wut umschlagen, weil ich nicht bekam, was ich wollte – nein, was ich brauchte. Ich brauchte den Sommer wie eine lebensrettende Infusion, die mir immer wieder im letzten Moment verwehrt wurde, weil man beschloss, dass ich auch ohne sie noch einige Zeit vor mich hin vegetieren konnte. Ja, so fühlte es sich an, obwohl ich wie eine Besessene arbeitete – als würde ich nur vegetieren.
    Hör auf zu denken, Ellie, knurrte ich mich im Geiste an. Es konnte sich nur noch um wenige Augenblicke handeln, bis mir die ersehnte Infusion aus Wärme und Erholung verabreicht wurde, und dann sollte ich sie genießen und neue Energie daraus ziehen. Ich hatte das freie Stück blauen Himmel während meiner sinnlosen Grübeleien genau beobachtet und auch den Zug der Wolken. Gleich würde der kalte, böige Wind sich legen – ich erkannte es an den gezackten Rändern der Wolke über mir, die nun in einem grellen Hellorange angestrahlt wurden. Ich schob mir die Sonnenbrille auf die Nase, lehnte mich zurück und kostete die letzten Sekunden aus, bis die Sonne sich ihren Weg freigekämpft hatte und mir Wärme spenden würde. Wärme und wenigstens eine Illusion dessen, was die Klänge in meinen Ohren mir zeitgleich vermitteln würden.
    Denn dieser Frühsommer war bislang eine Beleidigung. Ich war fest davon überzeugt gewesen, dass der sonnige Frühlingstag, an dessen Abend Colin mich mit sich ins Meer genommen hatte, um mich dann den Wellen zu überlassen, der Auftakt jener großen Erlösung gewesen war, nach der ich mich den gesamten harten Winter über gesehnt hatte. Doch der Westerwald entschied sich anders. Er entschied sich für Regentage, ständigen Wind, kalte Nächte und er gönnte der Sonne nur kurze Zwischenspiele, bis die nächste Wolke vor ihre scheuen Strahlen wanderte und es ihr nicht erlaubte, den winterharten Boden zu lockern. Noch immer schien der Frost in dem lehmigen Grund unseres Gartens festzusitzen.
    Auch jetzt würden mir nur wenige Momente des Friedens geschenkt werden. Ich kannte dieses frustrierende Spiel aus Licht und Schatten zur Genüge. Zeigte die Sonne sich, flaute der Wind am Boden ab und ich konnte mit einer raschen Bewegung die dünnere Decke von meinem Körper schlagen. Doch weit oben am Himmel ließ der Wind sich seine Macht nicht nehmen und sorgte zuverlässig für stetigen Wolkennachschub. Manchmal musste ich mir Mühe geben, um es nicht persönlich zu nehmen.
    Selbst Mama, die zu den Menschen gehörte, für die schlechtes Wetter nur eine Folge von schlechter Kleidung war, hatte vor dem Wind kapituliert und uns eine sündhaft teure Liegeinsel aus wetterbeständigem Plastikrattan gekauft. Über ihrer schneeweißen Matratze – garniert mit zahlreichen Kissen, die einem dank ihres elektrostatisch aufgeladenen Synthetikbezuges ständig Stromschläge versetzten – erhob sich ein muschelförmiger Schirm, der Wind und Sonne abhalten sollte. Das tat er nur unzureichend, doch er bot mir hervorragenden Sichtschutz vor werkelnden Nachbarn und half mir dabei, die trostlose Realität um mich herum für ein Weilchen auszublenden, bis der Wind mich ausgekühlt und die Sonne aufgegeben hatte.
    Während ich auf den gleißenden Wolkenrand starrte, begannen meine Gedanken sich von ganz allein
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