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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman
Autoren: script5
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Galerie ausgestellt hatte.
    Deshalb wunderte es mich umso mehr, dass Gianna ohne jegliche Voranmeldung hier aufschlug und nicht in Hamburg war. Auch passte ihr augenscheinlich schlechter Gesamtzustand nicht zu jener aufgekratzten, gewitzten Gianna, die sich mir in ihren Mails präsentiert hatte – Mails, die zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten, vornehmlich aber zwischen Mitternacht und frühem Morgen bei mir eingetrudelt waren und mich mit diversen Infos zum Volksglauben über Nachtmahre, zickig-intellektuellen Sticheleien und YouTube-Links versorgt hatten. Trotzdem hatte ich ihr nicht gesagt, dass ich auf eine Botschaft von Colin wartete und diese dazu dienen sollte, einen Mahr zu ermorden. Ich wollte sie dann einweihen, wenn es konkret wurde, wenn Colin mir die zweite Methode verriet. Falls er das jemals tun würde.
    Ungeduldig schüttelte ich den Kopf, um mich wieder auf Mamas Frage zu besinnen. Ob Gianna eine Freundin von mir war, hatte sie wissen wollen und ich hatte minutenlang nichts anderes getan, als zu grübeln, anstatt zu antworten. Ja, eine Freundin war Gianna wohl, obwohl wir uns in unseren Mails mit Leidenschaft angifteten und oftmals die Grenze zur Beleidigung überschritten.
    »Sie ist Pauls Freundin«, antwortete ich dennoch. Ich wollte von meiner Person ablenken.
    »Oh«, machte Mama und beugte sich weiter vor, als könne sie dadurch mehr von Gianna erkennen, was definitiv nicht möglich war, denn Gianna hatte sogar damit aufgehört, vor- und zurückzuwippen. Wir sahen nur ihren gebeugten Rücken und ihren Hinterkopf. Langsam mussten ihre Kniescheiben schmerzen.
    »Sie ist hübsch, oder?«, fügte Mama vage hinzu – eine mutige These, die angesichts Giannas strähniger Haare zusätzliche Brisanz gewann.
    Ich drehte mich achselzuckend um und tat das, worauf Gianna vermutlich schon minutenlang wartete: Jemand musste sich um sie kümmern. Als ich den Hof betrat, erhob sich ein schauriges, zweistimmiges Jaulen, das kein Ende mehr nehmen wollte und sich schließlich in einem klagenden »Jajaijaijaijaijaijai« entlud. Mister X hatte den eingesperrten Rufus entdeckt und näherte sich ihm in seiner gefährlichsten Pose: auf dem buckeligen Rücken ein gezackter Haarkamm, den Körper schräg gestellt, den Schwanz zur Flaschenbürste aufgeplustert, die Ohren angelegt. Seine spitzen weißen Eckzähne leuchteten wie gezückte Waffen aus seinem schwarzen Katergesicht heraus.
    »Ist gut, Hase«, brummelte ich beruhigend, doch Mister X nahm mich nicht wahr. Fauchend stimmte er eine neue Arie an, während sein Geifer auf das Pflaster troff und Rufus die Krallen über den Plastikboden seiner Transportbox ratschen ließ.
    »Gianna? Alles okay?«
    Nein, es war nichts okay. Ich fühlte ihr Elend unter meiner eigenen Haut. Ihre Knie waren schwach, ihr Magen tat weh, seit Tagen schon. Sie hatte geweint. Ich konnte das Salz auf ihren Wangen riechen. Doch sie reagierte nicht.
    »Hey, Gianna, sag doch was!«
    »Ich bin am Ende«, tönte es dumpf hinter ihrem Haarvorhang hervor. Ihre Stimme klang kraftlos. Nun kippte sie gefährlich seitwärts. Meine Hand brachte sie wieder in Balance. »Paul da?«, lallte sie.
    »Paul ist in Hamburg, Gianna. Er ist nicht hier. Ihr … ihr seid doch noch zusammen, oder?« Seitdem Mama mich auf sie aufmerksam gemacht hatte, schwelte in mir die Angst, die beiden hätten sich schon wieder getrennt. War das der Grund, weshalb es ihr schlecht ging? Sie durften sich nicht trennen, nein, das durften sie nicht! Bis zu Colins Rückkehr musste alles so bleiben, wie es war. Wir waren ein Team. Wir mussten zusammenhalten, um das zu tun, was nötig sein würde. Gianna brauchten wir dafür, weil sie Paul stärkte, und Paul brauchten wir, weil ich keine Unternehmung mehr ohne meinen Bruder machen würde, nachdem wir jahrelang getrennt gewesen waren. Doch nicht nur ich brauchte ihn. Vor allem brauchte er uns. Er hatte außer uns niemanden. François hatte alle Menschen von ihm fortgetrieben. Er hatte keinen einzigen Freund. Nicht einmal Bekannte. Allerhöchstens ehemalige Kommilitonen.
    »Weiß nicht«, nuschelte Gianna. »Keine Ahnung. Wir lassen es langsam angehen. Ich würde ihn trotzdem sofort heiraten, wenn er mich fragen würde. Tut er aber nicht.«
    Ich ließ mich stöhnend auf den Boden sacken.
    »Paul ist nicht hier, Gianna. Er ist in Hamburg. Deshalb frag ich mich, warum du …«
    »Weil ich nicht mehr kann!«, bellte Gianna heiser. »Hab ich doch eben gesagt! Ich rede von meinem Job,
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