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Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch

Titel: Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch
Autoren: John Doyle
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mich selbst immer wieder fragte: »Bist du schwul? Oder hetero? Oder stehst du lieber auf aufblasbare Puppen?« Ich war damals so verwirrt, dass ich jeden Morgen befürchtete:
Oh nein, ich kriege sicherlich wieder Pickel, wenn das so weitergeht.
     
    Wenn ich in den USA zu Besuch bin, ergeht es mir leider auch heute noch nicht anders. Ganz im Gegenteil: Es passiert mir immer wieder, dass viele Amerikaner mich für einen
Deutschen halten, sobald ich meinen Mund aufmache. Jedes Mal, wenn ich zum Beispiel meine Mutter Judy in Florida besuche, gibt es einige, die nicht glauben wollen, dass ich Amerikaner bin. Ich brauche nur zu sagen: »Hi! How are you today?«, dann höre ich: »Great. And where do you come from?« Und diese Frage bedeutet nicht, »where in the USA ?«, sondern »what foreign country?«. Jedes Mal, wenn ich beteuere »Ich komme wirklich aus den USA !«, schauen mich die Leute so an, als wollten sie gleich sagen: »It's okay, young man! Don't be afraid. You can tell me the truth.«
    Schon vor Jahren häuften sich diese »John, wer bist du?«-Erlebnisse in meinem Heimatland USA . Das stellte ich an ganz kleinen Dingen fest. An der Tatsache zum Beispiel, dass ich plötzlich das Bedürfnis hatte, nackt in die Sauna zu gehen. Früher, als ich noch »hundertprozentiger« Amerikaner gewesen war, hatte ich dieses Bedürfnis überhaupt nicht. Damals zog ich einfach meinen Badeanzug an und machte drei Kreuze, wenn alle anderen Saunabesucher auch einen anhatten. Aber nach einigen Jahren hier in Deutschland stellte ich eines Tages fest: »Hey, es geht auch ohne!«
    Es war aber damals nicht nur mein leicht deutscher Akzent oder mein Adamskostüm, was mich und andere verwirrte, sondern zum Beispiel auch die Tatsache, dass ich fast der Einzige war in Amerika, der an roten Fußgängerampeln stehen blieb. Das tat ich damals oft und fragte mich dann jedes Mal:
»Warum gehen alle diese Leute bei Rot über die Straße? Verstehen sie nicht, dass das total verantwortungslos ist?«
Und es waren nicht nur junge Leute, die einfach rüberlatschten. Auch Frauen mit Kleinkindern und sogar alte Menschen mit Gehstöcken hüpften immer noch schnell über die Straße. Jedes Mal registrierte ich, dass eben diese mich alle
anguckten, als wollten sie gleich sagen: »Mann, ist der blöd! Warum bleibt er stehen? Oder wartet er darauf, dass ihn jemand über die Straße trägt?« Ich für meinen Teil dachte nur:
Mensch, in Deutschland bin ich ein Vorbild für die Jugend, wenn ich an roten Fußgängerampeln stehen bleibe, und hier in den
USA
bin ich einfach nur blöd.
    Es ist irrsinnig, wie schnell man zum Vollidioten degradiert wird.
     
    Bis heute bricht bei mir aber auch noch in Deutschland ab und zu dieses »Wer bin ich?«-Gefühl aus, und dann kommt manchmal wieder der komplette Ami in mir zum Vorschein. Und das manchmal in Situationen, in denen es eigentlich nicht so richtig angebracht ist. Einmal rief ich zum Beispiel laut TAXI , nachdem ich nach einem langen Flug wieder in Deutschland gelandet war. Aber ich musste feststellen, dass nichts passierte, gar nichts. Nein, das stimmt nicht ganz. Ich erschreckte mit meinem Gebrüll ein paar Touristen, die total müde ihre Koffer hinter sich herzogen. Und ich bin mir nicht ganz sicher, aber einige sahen aus, als bekämen sie gleich einen Herzinfarkt davon. Aber was die Fahrer auf dem weit entfernten Taxistand anging, rührte sich keiner von denen. Ich winkte. Ich schrie. Ich bettelte. Aber nichts tat sich. Ich dachte:
Was ist denn hier los?
Wenn du in Amerika landest, vor dem Flughafengebäude stehst und TAXI schreist, dann kommen die Autos nur so angeflogen, dass du aufpassen musst, nicht von einem Fahrer überfahren zu werden, bevor du überhaupt die Möglichkeit hast, bei ihm einzusteigen. Und ohne darüber näher nachzudenken, erwartete ich - zurück in Deutschland - das gleiche Verhalten. Aber das konnte ich mir schnell abschminken.
    Der Amerikaner in mir kommt auch dann noch manchmal zum Vorschein, wenn ich mit meiner Ehefrau Martina und meinem Sohn Joshua in ein »All You Can Eat«-Restaurant gehe. Denn im Gegensatz zu meiner Familie spüre ich überhaupt kein Bedürfnis, nach zwei oder drei Tellern aufzuhören. In solchen Situationen fragt mich meine Frau immer: »Bist du nicht satt? Bist du
immer noch nicht
satt?« Und obwohl ich weiß, dass ihre Fragen überhaupt nicht ernst, sondern nur rhetorisch gemeint sind, antworte ich immer: »Wieso satt? Ich habe doch gerade erst
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