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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Autoren: Stefan Nink
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sterngranatenvoll. Sie schrien durcheinander, sie spuckten sich beim Reden ins Gesicht, sie rülpsten und grölten immer neue Fußballernamen, und anschließend musste natürlich immer angestoßen werden. Mehrere Gäste waren über dem Tisch zusammengebrochen und schnarchten hemmungslos. Andere starrten teilnahmslos vor sich hin. Am Nachbartisch war es zu einer Prügelei gekommen, bei der sich die Trinker zuerst das Plörrebier ins Gesicht kippten und anschließend mit den weißen Plastikstühlen bearbeiteten, bis die Saal-Security sie nach draußen zerrte. Die Kapelle auf der Bühne spielte jetzt eine Version von »Hoch auf dem gelben Wagen«, die sich anhörte, als habe sich ein Free-Jazz-Bandleader sehr viel Mühe beim Bearbeiten des Originalarrangements gegeben. Siebeneisen rann der Schweiß über die Stirn. Die Männer an den Tischen um ihn herum hatten ihre T-Shirts und Unterhemden bis auf die Brust hinaufgerollt und kühlten sich die Bäuche mit Eiswürfeln, die sie bei Nummer 57 und Nummer 18 bestellten und die 57 und 18 bestimmt in der Eisstadt nebenan klauten. Die Frauen am Tisch lallten nur noch.
    Siebeneisen war sich mittlerweile sicher, dass sein Mann nicht mehr auftauchen würde. Der Hinweis, ihn hier in Qingdao zu treffen, hatte vielversprechend geklungen, aber welcher Hinweis tat das nicht, wenn man ihn am Ende einer langen Reise erhielt und man eigentlich nur noch nach Hause wollte? Siebeneisen seufzte innerlich. Ihm war jetzt etwas übel. Als er sich aufrappelte, drehte sich das Bierzelt um ihn herum. In seinen Ohren summte es seltsam. Wahrscheinlich ein drohender Hörsturz, dachte Siebeneisen. Er knallte den halb leeren Becher zurück auf den Tisch, stützte sich kurz ab und schob mit dem Hintern seinen Plastikstuhl aus dem Weg. Beim Umdrehen stieß er mit Nummer 43 zusammen, die ihm gerade seine Bestellung bringen wollte, ein Tablett mit kleinen Knabbereien – gegrillte Skorpione, Schalen mit merkwürdigem Schleim und etwas, das nach frittierten Unken aussah. Siebeneisen stürzte Richtung Ausgang. Knallte gegen Tische, quetschte sich an Bedienungen vorbei, stapfte durch Berge aus Plastikbechern, kämpfte und drängelte und stieß sich durch die Halle. Als er die Hitze des Augusttages bereits spürte, ein fauchender Drachen, der darauf wartete, ihn zu verbrutzeln, spielte die Kapelle einen besonders lauten Tusch. Der Ansager sprach natürlich Chinesisch, oder besser: Er schrie Chinesisch. Deswegen merkte Siebeneisen erst im allerletzten Moment, weshalb sich die Stimme des Mannes da hinter ihm auf der Bühne fast überschlug. Er war einen Schritt vor dem Ausgang, als er den Namen O’Shady hörte.

1
    (Donnerstags im Fetten Hecht, Oer-Erkenschwick. Etwa ein halbes Jahr zuvor.)
    Der Erdnusskrümel steckte oben links hinten zwischen den Zähnen, und er versuchte jetzt seit Minuten, ihn mit der Zunge herauszubekommen. Warum aß er dieses Zeugs auch ständig? Wollte er so fett wie Schatten werden? Wipperfürth machte das doch auch nicht. Wipperfürth knabberte überhaupt nichts an ihren Abenden, alles, was Walburga an Nüssen und Salzstangen und Chips von der Theke an ihren Tisch schleppte, schien für ihn nicht zu existieren. Stattdessen nippte er an seinem Bier, kniff die Augen zusammen, konzentrierte sich – und führte schon wieder mit 6:2. Nein: mit 7:2. Siebeneisen schnippte den Ball aus dem Netz. Den hätte er haben können. Den davor auch. Alle haltbar. Er durfte sich eben bloß nicht ständig von seinen Gedanken ablenken lassen. Konzentrieren. Hellwach sein. Seine Torwartknöpfe jene Zehntelsekunde schneller drücken, die nötig war, um den Ball abzuwehren. Und anschließend den eigenen Konter einnetzen. Wipperfürth notierte seinen Treffer auf der kleinen Kreidetafel an der Wand neben ihrem Spieltisch. Er verzog keine Miene. Siebeneisen vermutete, dass er noch nicht einmal innerlich jubilierte, das entsprach bestimmt nicht diesen Zen-Grundsätzen, von denen Wipperfürth andauernd schwadronierte. Vor drei oder vier Monaten hatte er bei einem ihrer Tipp-Kick-Abende offenbart, dass er jetzt Zen-Buddhist sei. Das heißt: eigentlich nicht erst jetzt, sondern schon immer und ewig, bloß habe er das eben erst erkannt. Wipperfürth hatte damals einen VHS -Kurs besucht, in dem er autogenes Training lernen sollte, aber offensichtlich war der Kursleiter ein wenig über sein Ziel hinausgeschossen. Und jetzt war Wipperfürth also Zen-Buddhist. An jenem Abend hatte er ihnen die Grundgesetze seines neuen
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