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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Autoren: Stefan Nink
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Lebens dargelegt, und wenn Schatten ihn damals nicht zurückgehalten hätte, wäre Wipperfürth nach seiner zweiten Flasche Bier wahrscheinlich auf den Tipp-Kick-Tisch gestiegen, um ihnen die Kunst des yogischen Fliegens zu zeigen. So blieb es bei »Achte den Moment!«-Mahnungen und wirren Anekdoten über japanische Zen-Meister, die auf der Suche nach Vollendung 37 Jahre an einem Gartenbusch herumstutzten und all so was.
    Siebeneisen hatte das Allermeiste von diesem furchtbaren Gefasel zum Glück augenblicklich wieder vergessen. Leider brachte Wipperfürth zu jedem ihrer Treffen neue Erkenntnisse aus der Welt der Shaolin, Samurai und wer weiß wem noch mit. Walburga hörte sich das Ganze jedes Mal mit stoischer Miene an, aber Walburga war Wirtin, bei solchen Leuten hinterlassen solche Schilderungen keine bleibenden Schäden. Siebeneisen aber machten diese angeblichen Fernostweisheiten nach zehn Stunden Redaktionsdienst nervös. Vor allem, wenn Wipperfürth sie vortrug, als seien sie ihm eben auf dem Weg in den Fetten Hecht zugeflogen, als hätten sie sich urplötzlich in der Luft vor ihm materialisiert, Om Mani Padme Om, hier ist deine tägliche Portion Weisheit, lieber Wipperfürth, greif zu. Siebeneisen krampfte es bei so etwas innerlich. Vor allem, wenn er sich tagsüber mit Anzeigenkunden und Pressemitteilungen herumgeschlagen und am späten Nachmittag noch in einer Kreistagssitzung gehockt hatte, um anschließend schnell 120 Zeilen über die Pläne zur »Schnakenbekämpfung in den Oer-Erkenschwicker-Auen« zu schreiben. Siebeneisen hoffte auf das VHS -Programm für das kommende Semester. Er war sich sicher, dass sich dort verlockende Alternativangebote für Wipperfürth finden lassen würden, »Modellbaustrecken für Maisonettewohnungen« zum Beispiel oder »Mit dem Meerschwein auf Du und Du«. Alles war besser als dieser Zen-Tick. Alles. Selbst die gefalteten Papierbrontosaurier, die Wipperfürth letzten Winter aus seinem Origamikurs angeschleppt hatte.
    8:2. Zum Glück gab es jetzt richtige Netze an den Tipp-Kick-Toren. Schatten hatte die organisiert. Früher, bei diesen Plastiktornetzen, wusste man nie, ob der Ball auch tatsächlich drin war, weil er bei festen Schüssen regelmäßig wieder rausflog aus dem Tor. Und natürlich hatte es jedes Mal Gezeter gegeben, war doch Latte, war doch gehalten, was hast du denn da gesehen, all so was, als ob Wembley 66 niemals enden würde. Seit es die richtigen Netze gab, passierte das nicht mehr: Der Ball blieb jetzt im Tor liegen. Und Siebeneisen konnte ihn anschließend wieder herausholen und ihn im Mittelkreis positionieren, so war das. Die ersten beiden Partien hatte er haushoch verloren. Die dritte würde er gleich verloren haben. Die zwei übrigen der maximal fünf Runden mussten sie dann nicht mehr spielen – der erste Euro war futsch. Und drei Punkte in der ewigen Zum-Fetten-Hecht-Tabelle auch. Siebeneisen hätte jetzt gerne eine Runde ausgesetzt und einen Schnaps getrunken, aber so lange Schatten nicht da war, musste er weitermachen: Wipperfürth musste beschäftigt werden. Sonst würde er wieder mit diesem Zen-Zeugs anfangen.
    Sie spielten seit vier Jahren zusammen. Immer donnerstags im Fetten Hecht. Immer um acht. Anfangs hatten sie sich mittwochs getroffen, dann aber beschlossen, dass man an einem Wochentag, an dem es fast das ganze Jahr über Livefußball im Fernsehen gab, unmöglich Tischfußball spielen konnte. Also hatten sie den Donnerstag genommen, da kam außer ihnen eh niemand in den Fetten Hecht. Nicht, dass an den anderen Tagen mehr los gewesen wäre – ihr Treffpunkt war nicht gerade das, was man eine Oer-Erkenschwicker-Szenekneipe nennen würde. Im Branchenverzeichnis firmierte der Fette Hecht unter »Gaststätten«, war aber in dieser Rubrik mit Sicherheit nur gelistet, weil man ihn schließlich irgendwo unterbringen musste. Als Walburga die »Gaststätte« 1982 von ihrem Vater übernommen hatte, war seit bestimmt zwanzig Jahren nicht mehr renoviert worden, und Siebeneisen schätzte, dass Walburga seitdem penibel darauf geachtet hatte, den zeitlupenhaften Verfall des Etablissements bloß nicht aufzuhalten. Ein Foto der Gaststube mit ihrem Interieur hätte problemlos in einen Bildband Erinnerungen an die DDR gepasst. Es gab acht Tische, die auf pflegeleichten erdbraunen Bodenfliesen standen, eine so bizarre wie verspinnwebte Sammlung an Geweihen und ausgestopften Rebhühnern an den Wänden sowie eine Theke mit kopfüber hängenden
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