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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
Autoren: Carlos Castaneda
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verfolgte. Ich fühlte mich geradezu gezwungen, ihn danach zu fragen. »Ich habe einen tieferen Grund«, versicherte er. »Ich besänftige dich mit meinen Augen. Offenbar bist du nicht mehr so nervös, nicht wahr?«
    Ich mußte zugeben, daß ich mich recht wohl fühlte. Das stetige Flimmern in seinen Augen war nicht bedrohlich, und es hatte mich keineswegs erschreckt oder beunruhigt. »Wie kannst du mich mit den Augen besänftigen?« fragte ich. Er wiederholte sein unmerkliches Kopfschütteln. Tatsächlich spiegelte sich das Licht der Petroleumlampe in seinen Pupillen.
    »Versuch es doch selbst einmal«, sagte er wie nebenbei, als er noch mal nach dem Essen griff. »Du kannst dich selbst beruhigen.«
    Ich versuchte den Kopf zu schütteln; meine Bewegung fiel unbeholfen aus.
    »Du wirst dich nicht beruhigen, wenn du derart mit dem Kopf wackelst«, sagte er lachend. »Statt dessen wirst du dir Kopfschmerzen einhandeln. Das Geheimnis liegt nicht im Kopfschütteln, sondern in dem Gefühl, das aus der Gegend unterhalb des Magens in die Augen strömt. Das ist es. was das Kopfschütteln verursacht.« Er rieb sich die Nabelgegend. Als ich mit dem Essen fertig war. lehnte ich mich bequem gegen einen Stapel Holz und ein paar Rupfensäcke. Ich versuchte sein Kopfschütteln nachzuahmen. Don Juan fand das anscheinend ungemein komisch. Er lachte und schlug sich auf die Schenkel.
    Dann unterbrach plötzlich ein Geräusch sein Gelächter. Ich hörte einen seltsamen, tiefen Klang, wie ein Pochen auf Holz, das aus dem Chaparral kam. Don Juan hob das Kinn, um mi rzu bedeuten, ich solle wachsam bleiben. »Das ist der kleine Nachtfalter, der dich ruft«, sagte er mit tonloser Stimme. Ich sprang auf die Füße. Augenblicklich hörte das Geräusch auf. Ich sah Don Juan an und erwartete eine Erklärung. Er machte eine komische Gebärde der Hilflosigkeit und hob die Schultern.
    »Du hast deine Verabredung noch nicht eingehalten«, fügte er hinzu.
    Ich sagte ihm, ich fühlte mich wertlos und sollte vielleicht nach Hause fahren, um wiederzukommen, wenn ich mich stärker fühlte.
    »Du redest Unsinn«, fuhr er mich an. »Ein Krieger nimmt sein Los auf sich, was es auch sei, und akzeptiert es in äußerster Demut. Er akzeptiert demütig, was er ist, und dies ist ihm kein Anlaß zu bedauern, sondern eine starke Herausforderung.
    Jeder von uns braucht Zeit, um diesen Punkt zu verstehen und ihn voll zu erleben. Ich zum Beispiel haßte früher die bloße Erwähnung des Wortes >Demut<. Ich bin ein Indianer, und wir Indianer sind seit jeher demütig und haben nie etwas anderes getan, als den Kopf zu beugen. Ich meinte, Demut sei nichts für einen Krieger. Ich irrte mich! Heute weiß ich, daß die Demut eines Kriegers nicht die Demut eines Bettlers ist. Der Krieger beugte den Kopf vor niemandem, aber gleichzeitig erlaubt er es keinem anderen, seinen Kopf vor ihm zu beugen. Der Bettler hingegen fällt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf die Knie und leckt jedem, den er für höher erachtet als sich selbst, die Stiefel: zugleich aber erwartet er. daß ein Geringerer als er ihm die Stiefel leckt. Deshalb sagte ich dir heute auch schon, daß ich nicht verstehe, wie die Meister des Ostens, die Gurus, sich fühlen. Ich kenne nur die Demut eines Kriegers, und diese wird mir nie erlauben, der Meister eines anderen zu sein.« Wir schwiegen einen Augenblick. Seine Worte hatten mich tief angerührt. Ich fühlte mich betroffen, und gleichzeitig beschäftigte mich das, was ich im Chaparral erlebt hatte. Mein bewußtes Urteil lautete, daß Don Juan mir etwas verheimlichte und offenbar wußte, was wirklich geschehen war.
    Ich hing solchen Überlegungen nach, als das gleiche seltsame, pochende Geräusch mich aus meinen Gedanken aufschreckte. Don Juan lächelte und fing an zu kichern.
    »Du hältst dich an die Demut des Bettlers«, sagte er sanft. »Du beugst den Kopf vor der Vernunft.«
    »Ich glaube immer, daß mich jemand hereinlegt«, sagte ich. »Das ist der Kern meines Problems.«
    »Da magst du recht haben. Du wirst hereingelegt«, erwiderte er mit entwaffnendem Lächeln. »Dies kann aber nicht dein Problem sein. Der eigentliche Kern der Sache ist, daß du glaubst, ich lüge dich absichtlich an. Habe ich recht?«
    »Ja. Da ist etwas in mir, das mich nicht glauben läßt, daß das. was geschieht, wirklich ist.«
    »Du hast wieder recht. Nichts von alledem, was geschieht, ist wirklich.«
    »Was meinst du damit, Don Juan?«
    »Die Dinge sind erst
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